Macabros 059: Die menschenfressenden Schatten
und keine Panik zu verbreiten. Man hat uns gebeten, Folgendes
nicht zu veröffentlichen: Es gibt einen Augenzeugen, der gesehen
hat, wie in diesem Teil der Stadt fünf Menschen innerhalb
weniger Stunden verschwanden, als würden sie im Boden versinken.
Schatten nahmen Menschen in sich auf. Das deckt sich mit dem, was
aller Wahrscheinlichkeit nach auch die kleine Jugoslawin von Flunners
Jacht berichtet hat. Nur mit einem Unterschied: Jok glaubt gesehen zu
haben, daß die Schatten im Morgengrauen untertauchten –
und zwar im Viertel der Superreichen. Als es nämlich heller
wurde, zogen die Schatten sich zurück. Sie verschwanden im Park
der Santienos, behauptet Jok. Wir hier hoffen, etwas darüber zu
erfahren. Wir haben diesen Tip an einen Freund weitergegeben, der bei
der Polizei arbeitet und mit einem Vorfall im Haus der Santienos
befaßt war. Unter einem Vorwand war es ihm ein leichtes, das
Anwesen zu betreten und sich ein Bild von der Umgebung zu machen. Sie
kommen gerade zum richtigen Zeitpunkt, Mister Hellmark. Wir warten
hier gespannt auf Pete Longs Bericht, der darüber entscheiden
wird, was sich in den nächsten Stunden oder zumindest in der
nächsten Nacht hier tun wird…«
*
Sie rannte durch den Burghof. Ihre Absätze klapperten auf dem
groben Gestein, mit dem der Hof gepflastert war. Originalsteine aus
der Zeit damals…
»Mister Long?!« brüllte sie. Laut und hallend war
das Echo ihrer Stimme. Aber es erfolgte keine Antwort.
Er mußte sich in einem der Räume oder im Gewölbe
aufhalten. Wenn sie nur wüßte, wo genau Alfredo die Leiche
verscharrt hatte!
Sie lief die ausgetretenen Stufen zum Haupteingang hoch. Das Tor
hier war nie verschlossen. Dazu gab es auf diesem Anwesen keinen
Grund.
Der Korridor, Zimmerfluchten… Treppen nach oben und nach
unten… Long konnte überall sein. Hier dieser Flügel
war am besten erhalten. Von hier aus führte auch ein Stollen in
das weniger gut erhaltene Gemäuer mit dem Turm.
Mechanisch nahm Olivia Santieno eine Fackel aus dem Vorrat und
zündete diese mit einem ebenfalls bereitliegenden Schwefelholz
an. Den Schirm ließ sie gegen die kahle Wand gelehnt
zurück.
Da hörte sie das Wimmern wieder!
Es kam aus dem Keller. Aber viele Stimmen wimmerten, als ob
irgendjemand Pein erduldete.
Zitternd stieg sie die Stufen nach unten. Ein kahles Gewölbe!
Die blakende Fackel warf ein bizarres, unruhiges Licht an die
feuchten Wände.
Eisentore… Nischen… Verliese… Gewölbe…
sogar Eisenpflöcke gab es noch in dem uralten Mauerwerk.
Olivia hielt den Atem an und näherte sich den wimmernden und
klagenden Stimmen. Es war ihr unheimlich hier unten, aber sie war
überzeugt davon, einem Geheimnis auf der Spur zu sein, ein
Geheimnis, das seit vorletzter Nacht zum ersten Mal aufgetreten
war.
Gab es doch Geister in dem Gemäuer?
Aber seit wann spukten Geister auch tagsüber?
Sie kam um einen Mauervorsprung herum. Nur wenige Schritte von ihr
entfernt war das Gewölbe zu Ende und lief oval in einer
Sackgasse aus.
Hier in diesem fensterlosen Verlies hingen noch eiserne
Pflöcke und die Reste verrotteter Ketten an den Wänden. Sie
kündeten davon, daß hier einst Gefangene unter
menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten wurden.
Licht und Schatten tanzten an den Wänden um sie herum.
Sie wollte schon gehen und ein anderes Gewölbe aufsuchen.
Da schien sich ihr eine eisige Hand in den Nacken zu krallen.
Vor ihr in der Dunkelheit bewegten sich plötzlich Schatten,
die gar nicht mehr durch die blakende Fackel und ihren eigenen
Körper hervorgerufen wurden.
Die Schatten bewegten sich selbständig!
Aber das war noch nicht alles.
Aus den Schatten heraus löste sich eine hellhäutige
Gestalt, eine Frau mit strohblondem, bis auf die Schulter fallendem
Haar und einem Gewand, das wie ein Hauch ihren wohlgeformten
Körper umschloß. In der Linken trug die schöne
Geistererscheinung eine Öllampe, die einen trüben Schein
verbreitete.
Mit einem rätselhaften Lächeln kam die Fremde auf sie
zu…
*
Von ihr strahlte Kälte aus, als bestünde sie aus purem
Eis!
Eine Geistererscheinung! Und die sagte leise: »Komm’ mit
uns! Dort, woher wir kommen, wird es dir bestimmt gefallen. Alle, die
mit uns kamen, sind dort geblieben und wollten nie wieder zurück
in diese Welt. Du wirst ewig schön und jung sein, so wie jetzt,
nie wird sich etwas an dir verändern. Ist das nicht herrlich
– für dich?«
Die Stimme klang besonnen und verführerisch. Aber auch
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