Macabros 061: Wenn Shimba Loos Todesruf erschallt
Eier,
Steine, Stöcke, fauliges Obst und Gemüse prasselten
über die Häupter der Unseligen herein wie ein
läuternder Regen.
Obwohl es von der Puente Ramona aus nur noch wenige hundert Meter
bis zum Alcazar waren, wo das Inquisitionstribunal seinen Sitz hatte,
schien es Gerald Baskin eine Ewigkeit zu dauern, bis diese Strecke
zurückgelegt war. Am Ende dieses Weges würde ihn sein
Bruder erwarten – dann würde er frei sein…
Müde lief er neben Isabella her. Die beiden Menschen sprachen
kein Wort. Müdigkeit, Erschöpfung und Durst hatten ihre
Münder und Kehlen austrocknen lassen, so daß keiner so
recht Lust auf eine Unterhaltung verspürte.
Erleichtert atmete Gerald auf, als sich das schwere Tor des
Alcazar Nuevo hinter dem Transport schloß und die
sensationslüsterne Menge aussperrte.
Ricardo de Baskin stand auf einem Podest und unterhielt sich mit
den Soldaten. Anschließend ließ er prüfend seine
Blicke über die Gefangenen schweifen. Erst dann erblickte er
seinen Bruder.
Eilig sprang er herunter und lief auf Gerald zu.
»So hat man dich also schon geschnappt, du schwarzer
Magier«, sagte er zu Geralds Verwunderung und ohne ein Wort der
Bestürzung. »Eigentlich wollte ich dich selbst
gefangennehmen und als entarteten Künstler der Menge
präsentieren, aber offenbar hast du dich selbst schon als
Anhänger der Finsternis entlarvt. Es wird mir ein Vergnügen
sein, dich in die Hölle zu schicken.« Damit spuckte er
seinem Bruder auch schon ins Gesicht und zog von dannen.
Gerald Baskin verstand nichts mehr. Bestürzt blieb er stehen.
Seine Hoffnung auf Rettung hatte sich nicht erfüllt.
*
Bereits am nächsten Morgen wurde Gerald Baskin zum ersten
Verhör geführt.
Die letzte Nacht hatte der Franzose in einem
ohnmachtähnlichen Schlaf verbracht. Am Morgen hatte ihm ein
Soldat etwas zu Essen gebracht, einen Napf mit einer undefinierbaren
Flüssigkeit und einen Teller mit Brei. Wütend hatte Gerald
alles in die nächste Ecke geschleudert, was ihm einige Hiebe
eingebracht hatte. Dann war der Soldat wieder abgezogen, und Gerald
hatte nagenden Hunger.
Den Vormittag über hatte er über das seltsame Verhalten
seines Bruders nachgegrübelt. Wahrscheinlich hatte Richard eine
Intrige gegen ihn eingefädelt, die bereits mit dem Absenden des
Briefes eingeleitet worden sein mußte. Hatte der Inquisitor
nicht behauptet, daß er Gerald eigenhändig hatte
abführen wollen?
Plötzlich verstand Baskin die Handlungsweise seines Bruders.
Dadurch, daß Ricardo seinen eigenen Bruder als schwarzen Magier
und Verbreiter entarteter Kunst überführte, würde er
sich in den Augen des Volkes als noch schrecklicherer,
ungnädiger Inquisitor aufwerten, als er ohnehin bereits war.
Wahrscheinlich wollte er Großinquisitor werden, dachte der
Maler bestürzt. Ricardo konnte es nur noch auf diesen Posten
abgesehen haben.
Zwei Soldaten holten ihn zum Verhör ab. Gerald war jetzt
nicht mehr angekettet. Nur ein einfacher Hanfstrick hielt noch seine
Hände zusammen, ansonsten vermochte er sich relativ frei zu
bewegen.
Gerald wunderte sich, daß es nur zwei Männer waren, die
ihn abholten. Normalerweise hatte er gehört, daß
Gefangene, der Hexerei verdächtigt, immer von einer kleinen
Kompanie abgeholt wurden. Meistens handelte es sich hierbei um sechs
Mann.
»Wo bringt ihr mich hin?« fragte Gerald Baskin
nüchtern.
Die beiden Männer grinsten sich nur boshaft an.
»Eigentlich brauchten wir es dir ja nicht zu sagen«,
antwortet der eine, »aber wir haben da eine wundervolle
Streckbank…«
In diesem Augenblick ging die Panik in Baskin durch. Aus einem
Impuls heraus warf er sich gegen den Soldaten, der ihm am
nächsten stand und drückte ihn gegen die Wand. Gleichzeitig
brachte er die Hellebarde des Söldners zwischen seine
Handgelenke und begann zu reiben. Wenige Sekunden später war er
frei.
Der andere Soldat hatte gar nicht mehr reagieren können, so
unerwartet war Baskins Ausfall gekommen.
Der Franzose machte kurzen Prozeß. Er war in eine Situation
gedrängt worden, die ihn zum Tier gemacht hatte, und so
reagierte er auch wie ein verwundetes Raubtier.
Ohne mit der Wimper zu zucken, spießte er die beiden
Soldaten auf und sperrte sie in seine Zelle. Den Zellenschlüssel
nahm er an sich.
Aber was sollte er jetzt tun? Zwar war er außerhalb seiner
Zelle, aber frei war er deshalb noch lange nicht. Wohin sollte er
sich wenden?
Fest umspannte er den Griff der Hellebarde, die er dem Soldaten
abgenommen hatte. Langsam
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