Macabros 064: Es erwacht der Ursen-Wahn
Carminia.
Wie kam sie hierher? Carminia, die sich im Reich der Feuerbestien
Loana nannte und deren Herrscherin war?
Ihr Puls war schwach. Sie machte einen völlig
erschöpften Eindruck.
Björn drehte sich langsam zur Seite. Carminia Brado hielt die
Augen geschlossen.
»Carminia? Kannst du mich hören? -Hallo –
Carminia?«
Er tätschelte zärtlich ihre Wangen.
Die Augenlider der schönen Frau zitterten.
»Björn…?« Wie ein Hauch klang ihre Stimme.
»Du lebst… Gott sei Dank… flieh… sie sind…
hinter mir her…«
»Wer ist hinter dir her?« Er ließ den Blick in den
goldglänzenden Säulengang schweifen. Irgend etwas in der
ungewissen Tiefe bannte seinen Blick. Er sah keine Verfolger, keine
Beobachter, keine Feinde – es war etwas anderes, was ihn zwang,
den Blick dorthin zu wenden. Es war das Gefühl – schon mal
hiergewesen zu sein.
*
»Die Feuermenschen… Björn… sie sind hinter mir
her… Sie haben erkannt, daß ich… ihnen entkommen
bin…«
Carminia sprach stockend und kraftlos.
Es schien, als hätte es nur dieser Worte bedurft. Schlagartig
verwandelte sich die Szene.
Sie kamen von links.
Flackernder Feuerschein. Mehrere Feuerbestien aus Kh’or Shan
drängten durch Seiteneingänge in die große Halle mit
der Tümpeloase.
Da gab es kein Zögern mehr. Wollten sie nicht selbst zu
Feuerbestien werden, mußten sie so schnell wie möglich
hier verschwinden.
Björn verlor keine Sekunde. Er riß Carminia auf seine
Arme und begann zu laufen. Pepe blieb dicht neben ihm, bereit, sofort
Hellmarks Hand zu ergreifen, wenn dieser einen entsprechenden Befehl
gab.
So lange es jedoch ging, wollte Hellmark die Kraft von Velenas
Armreif schonen.
Niemand wußte, wie nötig sie ihn noch brauchten.
Sie konnten nur in eine Richtung fliehen. Durch den
Säulengang…
Als Hellmark losspurtete, begannen auch die Feuerbestien zu
rennen. In Björns Hirn peitschten sich die Gedanken. Er fand
für das alles keine Erklärung mehr. Wieso war Carminia
vorhin noch im Glauben gewesen, die Herrscherin Loana zu sein? Wieso
lag sie jetzt hier in dieser Halle und flehte ihn um Hilfe an?
Was war in der Zwischenzeit seiner Gefangenschaft geschehen?
Waren Minuten, Stunden oder Tage vergangen?
Wie im Traum war ihm das Gefühl für Raum und Zeit
verlorengegangen…
Endlos schien ihm der Weg zwischen den Säulen. Je tiefer er
hineinrannte, desto intensiver wurde der Goldton der Wände.
Die Decken über ihm waren mit schweren Goldornamenten
verziert, die Säulen wiesen goldene Aufsätze und prunkvoll
gestaltete Verzierungen auf.
Der Säulengang führte in einen hellerleuchteten
Innenhof. Unwillkürlich richtete Björn seinen Blick nach
oben. Er meinte, dort einen klaren, sonnenüberstrahlten Himmel
zu sehen.
Doch es war nicht der Fall. Über ihm strahlte in purem Gold
die Decke. Zahllose Säulengänge führten in alle
Richtungen von der Einmündung ab.
Im Hintergrund sah er kostbar verzierte Schreine und Nischen mit
prunkvollen Standbildern. Dazwischen immer wieder kleine Oasen aus
grünen Wiesen, blühenden Gärten, freundlichen
Seen.
Er mußte an die Worte Loana – Carminias denken, als sie
ihm sagte, wohin sie ihn schicken wolle. In den >Tempel der
Glückseligkeit… Aber von außen sah dieser
furchteinflößende Tempel alles andere als einladend aus.
Er mußte sich gestehen, daß er erwartet hatte, einen
Horrortempel zu sehen. Nun zeigte sich, daß nur einzelne Teile
dieser Tempelanlage offenbar durch dämonischen Einfluß
verändert worden waren. Ursprünglich mußte alles mal
anders gewesen sein…
Er warf einen Blick zurück. Die Feuerbestien kamen rasch
näher.
Björn lief kreuz und quer, Haken schlagend wie ein Hase,
durch Gärten, über Blumenfelder, zwischen Säulen
entlang und erreichte schließlich einen Saal, der in seiner
kostbaren Ausstattung und Schönheit alles übertraf, was er
bisher gesehen hatte.
Schwere Gobelins an den Wänden, tief herabhängende
Kronleuchter, die aus tausend und mehr Kerzen bestanden, in der Mitte
des Saales eine Treppe, die sich wie die Blätter einer
Blüte öffnete und auf höher gelegene Galerien
führte, die aussahen, als würden sie schweben.
Oben begannen neue Wunder, die Gärtner, Architekten und
Träumer sich ausgedacht hatten.
Instinktiv lief Hellmark auf die mittlere, die schmalste aller
Treppen zu. Er wußte nicht weshalb…
Wie Stalaktiten in einer Tropfsteinhöhle ragten riesige,
spitzzulaufende, prunkvoll gestaltete Säulen von der Decke
herab.
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