Macabros 064: Es erwacht der Ursen-Wahn

An ihnen hing die Galerie, zu der sich die in
Blütenblätterform gestalteten Treppen hinaufschwangen.
    Das alles kam ihm so bekannt vor. Er meinte, erst kürzlich
diesen Weg gegangen zu sein…
    Aber das war Unsinn. Es konnte nicht sein.
    Björn rannte – so schnell es ihm mit Carminia auf den
Armen möglich war. Pepe hielt sich tapfer. Kein Wort der Klage.
Verbissen hielt er das Tempo durch. Es ging um Leben und Tod.
    Auf der an prunkvollen Stalaktiten-Säulen hängenden
Galerie lief Hellmark weiter, kerzengeradeaus. Ein Wald von
übergroßen Standbildern lag vor ihm. Unterbrochen wurde
diese Galerie der Steinernen von lauschigen Plätzen, von denen
aus man einen wundervollen Blick in tiefer gelegene, kostbar
ausgeschmückte Kammern und Räume hatte, die jetzt jedoch
erschreckend leer waren.
    All diese Hallen und Säle aber waren dazu geschaffen,
fröhlichen Menschen zu dienen.
    Unwillkürlich wurde Björn in diesen Sekunden an die
leeren Gigantenhallen in dem unterseeischen Palast seines Freundes
Oceanus erinnert.
    Auch da war alles noch erhalten – nur die Geschöpfe
fehlten. War es auch hier ähnlich?
    Die Feuerbestien holten auf. Sie waren erstaunlich schnell. Die
unruhig lodernden, winzigen Flammen, die den massiv glühenden
Kern dieser menschenähnlich gestalteten Körper
umhüllten, bewirkten einen gespenstischen Widerschein an den
übermannsgroßen Standbildern und den vergoldeten
Wänden, Decken und Fußböden.
    Dem jungen Mexikanerknaben hingen die schwarzen Locken wirr in das
verschwitzte Gesicht.
    »Kannst du noch, Pepe?« stieß Björn rasch
hervor.
    Pepe nickte tapfer. Man sah ihm die Anstrengung an. Er konnte sie
nicht verbergen, so sehr er sich auch bemühte.
    Es war fast wie damals… Björn erschrak, als ihm dieser
Gedanke plötzlich durch den Kopf ging. Wieso – wie damals?
Wieder mußte er unwillkürlich an ein ähnliches
Erlebnis denken, aber er wußte nicht, in welchem
Zusammenhang…
    War alles nur ein Traum, an den er sich erinnerte?
    Er hielt plötzlich so scharf, daß Pepe in vollem Lauf
an ihm vorübersauste.
    Björn Hellmark stand genau zwischen zwei riesigen
Standbildern. Die stellten eine Frau und einen Mann dar.
Königliche Gestalten mit edlen, energischen Gesichtern,
gekleidet in kostbare, goldene Gewänder, die mit strahlenden
Diamantensplittern besetzt waren, welche in allen Farben
leuchteten.
    Die beiden Standbilder bildeten ein Tor in einen Korridor, auf den
mehrere, riesige, goldfarbene Türen mündeten.
    Es schien, als ob Björn Hellmark in dieser Sekunde einen
lautlosen Befehl erhielte.
    »Hierher, Pepe! Schnell!« zischte er.
    Der Junge aus Yukatan wirbelte herum. Björn deutete in den
schummrigen Korridor mit den Türen, »Los! Lauf! Wir
werden’s schon schaffen… Kopf hoch, Junge!«
    Er warf noch einen schnellen Blick zurück. Die Feuerbestien
hatten sich ihnen bis auf dreißig Meter genähert.
    Zwischen den riesigen Standbildern kamen die Menschen sich vor wie
in einem geheimnisvollen Wald.
    Die Statuen, die den Korridor bis zur Einmündung in den Gang
mit den zahlreichen Türen flankierten, glichen sich hier wie ein
Ei dem anderen.
    Der gleiche Mann und die gleiche Frau schienen durch eine Form in
Serie hergestellt worden zu sein.
    Hellmark ertappte sich dabei, daß er mit unruhigem Blick die
einzelnen Gestalten absuchte. Das Standbild, das die königliche
Gestalt darstellte, mußte es sein…
    »Das fünfte von der Abzweigung«, murmelte in diesem
Augenblick Carminia Brado.
    Hellmark zuckte zusammen wie unter einem Peitschenschlag.
    Genau! Das fünfte Standbild links! Auch Carminia wußte
es!
    Noch zehn Schritte… noch acht… fünf… noch
einer… dann blieb er stehen, Pepe blitzschnell am Arm packend,
ehe der weiterlaufen konnte.
    Der mit Diamanten und Brillanten besetzte Saum des goldenen
Umhangs, den das königliche Standbild trug, weckte Hellmarks
Interesse. Der Saum des schwungvollen, steinernen Mantels war
scheinbar wie all die anderen ringsum. Aber es gab einen feinen
Unterschied, den nur der sah, der es wußte.
    Und er – wußte es! Ebenso wie Carminia…
    Am vordersten Zipfel waren drei Rubine von
fingernagelgroßen, blauen Saphiren umgeben. Die Farbe dieser
Rubine war besonders kräftig. Sie leuchteten dunkler, voller als
die anderen von den übrigen Umhängen.
    Der mittlere Rubin, schoß es Björn durch den Kopf. Er
drückte darauf, blitzschnell, wie auf einen Klingelknopf.
    Er erwartete etwas Bestimmtes, ohne sagen zu können, was es
eigentlich