Macabros 064: Es erwacht der Ursen-Wahn
Vergangenheit
erinnerte und begriff, daß sich ihre Wege schon mal gekreuzt
hatten…
»Hier in diesem Tempel…«, lösten sich die
Worte wie ein Hauch von den Lippen der schönen Brasilianerin.
»… haben wir uns getroffen… deshalb unsere Kenntnisse
über den Verlauf der Korridore, die Lage der Tempelhallen, den
Fluchttunnel im Innern des einen Standbildes. – Hier vor dem
Altar, von dem man sagt, daß er in fernster Zeit – noch
vor unserm Dasein als Loana und Kaphoon – immer nur
glückliche Paare gesehen hat, erfüllte sich mein
Schicksal…«
Die Gedanken an damals und das Wissen um die Vergangenheit
führten dazu, daß sich Hellmarks Herz mit Trauer
erfüllte. Damals wie heute machte er neue Erfahrungen.
Damals waren sie verwundert, im Innern des so grausam und
dämonisch aussehenden Schädels diese palastartige Anlage zu
finden. Alles wies darauf hin, daß hier einst glückliche
Menschen gelebt und gewirkt hatten. Doch die waren nun verschwunden.
Die Feuerbestien aus Kh’or Shan konnten niemals die eigentlichen
Bewohner dieser Stätten sein. Eindeutig erkannten sie
seinerzeit, daß vor ihnen schon viele glückliche Paare
hier gewesen waren, um sich trauen zu lassen und die erste Zeit ihrer
Ehe hier zu verleben. Die eingelassenen goldenen Platten waren die
Zeugen jener Tage.
Und die Platte, auf denen sie die beiden Schmetterlinge mit ihren
Initialen erkannten, erinnerten an den Augenblick höchsten
Glücks, aber auch tiefster Trauer.
Hier vor dem Altar hatte Carminia Brado, damals Loana, ihr Leben
ausgehaucht.
Von mehreren Pfeilen fischgesichtiger Ursen getroffen,
stürzte sie blutüberströmt zusammen und starb in
seinen Armen.
Er verfolgte die Mörder, wurde ihrer jedoch nicht habhaft.
Sie tauchten unter in unzugänglichen Verstecken, ließen
sich nicht wieder sehen.
Zur Erinnerung an seine Liebe und seinen Schmerz ließ er
seinerzeit diese goldene Platte hier zurück. Damals noch standen
neben dem Altar zwei große Behälter, aus denen man die
Platten und die Diamanten- und Brillantensplitter herausnehmen
konnte. In stundenlanger Arbeit gestaltete er die Schmetterlinge und
brachte die Initialen der Geliebten und die seinen auf der Platte
unter. Es war ihm gelungen, seinerzeit die über alles geliebte
Frau zu retten, und dann hatte er sie doch wieder verloren. Der
Tempel der Glückseligkeit wurde zum Grab Loanas.
Carminia ging einen Schritt auf ihn zu. Sie lehnte ihre Stirn an
sein heißes Gesicht und flüsterte. »Als ich damals
starb, sprach ich von den Schmetterlingen. Wie ihr schwereloser,
schwebender Tanz in sonniger Luft, so hätte unser Leben ein
sollen… Sequus Grausamkeit machte einen Strich durch die
Rechnung. Der Schmetterling – war das Symbol unserer Liebe. Wie
er sich aus einer nichtssagenden Puppe entwickelte und zur
strahlenden Schönheit entfaltete, so sollte sich auch unsere
Zuneigung immer weiterentwickeln. Und ich bat dich, wenn du nach
Xantilon zurückkehrst und Schmetterlinge sehen würdest, an
mich zu denken.«
»Ich habe immer an dich gedacht, Loana.« Es wurde ihm
nicht bewußt, daß er sie weder Schoko noch Carminia
nannte. In diesem Augenblick fühlte er sich in die Vergangenheit
zurückversetzt, erinnert an diese große Liebe, die er nie
hatte vergessen können. »Und wie zwei Schmetterlinge, die
unabhängig voneinander an zwei entfernt liegenden Punkten
geboren werden und ihren Flug durch die Luft beginnen, so haben sich
unsere Wege wieder gekreuzt. In einem zweiten Leben – als
Carminia und Björn.«
Eine Minute lang schwiegen sie. Er hielt sie in seinen Armen, und
sie ließen ihren Gedanken freien Lauf.
Pepe stand in ihrer unmittelbaren Nähe und war Zeuge der
Worte, die Carminia und Björn gesprochen hatten. Damit wurde er
zum Vertrauten eines Geheimnisses, das auch Carminia und Björn
erst eben erkannten.
Hellmark erinnerte sich seines ungebundenen Lebens überall in
der Welt. Beim Karneval in Rio hatte er Carminia zum ersten Mal
gesehen. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Er fühlte
sich auf eine Weise zu dieser Frau hingezogen, wie er es nicht
beschreiben konnte. Und auch Carminia hatte es nicht anders
empfunden.
Ohne damals zu ahnen, daß ihre Liebe schon vor einigen
Jahrtausenden begonnen hatte, mußten sie sich oft in
Gesprächen gestehen, daß es ihnen so vorkam, als
würden sie sich schon eine Ewigkeit kennen, und keiner war dem
anderen mehr fremd.
Trotz der Wucht der flutartigen Erinnerungen, die sie beide
überfielen, blieben viele
Weitere Kostenlose Bücher