Macabros 084: Horron - Kontinent des Vergessenen
Pallert
vor Stunden durchgemacht hatte.
Die Flügel schrumpften ein, der schuppige Körper wurde
etwas kleiner. Das Stadium des Primitiv-Menschen war erreicht. Rasend
schnell veränderten sich die Gesichtszüge.
Die Wangenknochen wurden höher, die flache Nase schmaler, die
Lippen erhielten einen eleganteren Schwung, das Kinn wurde
energischer. Das Gesicht eines modernen Menschen entstand, eines
Menschen von heute.
Der Mann reckte seine Glieder und streckte dem weiterwandernden
Vollmond sehnsüchtig beide Hände entgegen.
Der dort auf dem Dach des Wolkenkratzers stand, war Jonathan
Pallert, wie er leibte und lebte…
*
Er wandte sich um, stieg durch die Dachluke und verschloß
sie. Dann wanderte er durch das riesige, stille Haus. Der Widerschein
des Sternen- und Mondlichts und der Lichter der Straßenlaternen
ermöglichten ihm die Orientierung.
Jonathan Pallert mied den Aufzug und benutzte die Treppe. Dies aus
gutem Grund.
Das Haus der ›Karkins-Corporation‹ war niemals
unbewacht. Nachdem Phil Reegan ausgefallen war, drehte ein Ersatzmann
seine Runden. Ihm wollte Pallert auf keinen Fall begegnen.
Und doch kam es beinahe dazu.
Als Pallert den Zeichensaal verließ, in dem er seine
privaten Sachen geholt hatte, tauchte der Wächter am anderen
Ende des Korridors auf.
Der Mann hielt eine Taschenlampe in der Hand und war bewaffnet.
Und er war nicht allein! Ein Polizist begleitete ihn. Demnach war die
Sache also immer noch nicht ausgestanden. Sowohl die Karkins-Leute
als auch die Behörden schienen überzeugt davon, daß
Vorsicht am Platz war. Schließlich war weder die unter makabren
Umständen entführte Leiche Sabrina Wells’ noch der
vermißte Architekt Jonathan Pallert aufgetaucht. Die Tatsache,
daß Pallert nirgends zu finden war, irritierte die
Verantwortlichen ebenfalls. Es gab allerdings schon einen Verdacht,
der jedoch noch nicht einwandfrei bewiesen war. Das Auffinden der
Hautsäcke auf dem Dach des Gebäudes ließ den vagen
Schluß zu, daß Pallert möglicherweise etwas mit dem
Ereignis zu tun hatte. Sein Gesicht hatte von Harold Karkins in der
abgestreiften Haut identifiziert werden können. Es gab nun zwei
Möglichkeiten. Entweder Jonathan Pallert war von dem
unheimlichen Geschöpf ebenfalls getötet und verschleppt
worden – oder der Mann trug den Keim des Bösen in sich und
hatte sich auf diese schreckliche Weise verwandelt. Er war ein
Wergeschöpf, das bei Vollmond seine menschliche Gestalt
aufgab…
Wenn man die letzte Möglichkeit als die wahrscheinlichere
annahm, dann mußte schnellstens eine Klärung der Frage
erfolgen, in welchem Zusammenhang die Hautsäcke wirklich
standen. Wenn auch nur der geringste Zweifel an Pallerts Person
haften blieb, würde dies bedeuten, daß er seines Lebens
nicht mehr froh würde, daß man ihn auf Schritt und Tritt
bewachte.
Der Architekt drückte leise die Tür ins Schloß und
verharrte in angespannter Erwartung hinter ihr.
Er befand sich im finsteren Zeichensaal. Dort hatte die ganze Zeit
über seine Aktentasche noch gestanden, in der sich seine
Hausschlüssel und die für den Zugang zur Tiefgarage
befanden, die jeder Mitarbeiter besaß.
Der helle Lichtschein, verursacht durch die Taschenlampe, wanderte
zitternd an der Türritze unten vorbei und blieb stehen!
Einen Moment schien es, als wollten die beiden Männer den
Zeichensaal aufsuchen. Aber sie waren nur stehengeblieben, um sich
eine Zigarette anzuzünden und setzten ihren Rundgang dann
fort.
Pallert fiel ein Stein vom Herzen. Der Architekt war schon ganz
auf Abwehr eingestellt.
Er atmete tief durch, lauschte den sich entfernenden Schritten vor
der Tür und ließ noch zwei Minuten vergehen, ehe er es
wagte, einen Blick durch den Spalt nach draußen zu werfen. Die
Luft war rein.
Jonathan Pallert floh durch Gänge, Korridore und Stockwerke.
Unbemerkt erreichte er die Tiefgarage und setzte sich in seinen
Wagen. Es war ein dunkelblauer Camaro. Pallerts Leidenschaft waren
schnelle Sportwagen.
Er fuhr bis zur Lichtbarriere. An einem Pfosten steckte er den
Schlüssel in den dafür vorgesehenen Schlitz. Leise surrend
öffnete sich das breite Tor. Es glitt nach oben in die Decke und
gab den Weg frei auf die Straße. Pallert reihte sich wenige
Augenblicke später in den fließenden Verkehr ein.
Eine halbe Minute nach Verlassen der Garage glitt das Tor wieder
automatisch nach unten und verschloß die Zufahrt.
Pallert war auf dem Heimweg.
*
Rani Mahay, Danielle de Barteaulieé und Ak
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