Macabros 087: Myriadus, der Tausendfaltige
Das Gebäude wurde
umstellt, Passanten zurückgehalten. Björn Hellmark wurde in
eine finstere Zelle gestoßen.
»Wir haben einen Spezialisten«, wurde ihm gesagt.
»Der ist auf dem Weg hierher. Der hat bisher noch jeden
weichgekriegt. Dich wird er auch schaffen.« Man behandelte ihn
respektlos.
Die Tür fiel ins Schloß.
Durch ein winziges vergittertes Fenster sickerte schwacher
Lichtschein. Die Zelle war kahl, hatte rohe Wände und einen
unebenen Plattenboden. Nur eine klobige Pritsche stand in dem
Verlies, auf der eine fadenscheinige Wolldecke lag.
Hart wurde der Schlüssel draußen umgedreht.
Aus den Geräuschen, die während der nächsten
Minuten an seine Ohren drangen, ließ sich unschwer erraten, was
jetzt alles passierte.
Stimmengewirr. Türen wurden geschlagen. Der Polizeifotograf
machte seine Aufnahmen, der Gerichtsmediziner untersuchte die Toten.
Draußen fuhr ein weiteres Auto vor. Vor dem winzigen Fenster
war der Lichthof der vorbeihuschenden Scheinwerfer zu erkennen.
Metallisches Geräusch, die Zinksärge wurden gebracht, um
die Toten abzutransportieren.
All dies bekam Hellmark mit, während ihm viele Gedanken durch
den Kopf gingen. Er hätte es nicht nötig gehabt, in der
finsteren, engen Zelle auszuharren. Dennoch blieb er und wollte das
Weitere abwarten. Vielleicht stieß man unverhofft auf eine
Spur, die die Dinge in eine ganz andere Richtung lenkten, oder es
trat etwas ein, das von Interesse für ihn war.
Gleichzeitig aber wollte er keine Zeit verlieren und vorantreiben,
was er bis jetzt an Erkenntnissen gewonnen hatte.
Ein Mensch, der sich verdoppeln und an zwei Orten gleichzeitig
sein konnte, war dazu imstande.
Was hatte Richard Patrick inzwischen im ›Alhambra‹
herausgefunden? Was gab es neues dort? Oder Rani Mahay – was
hatte er festgestellt? Gab es neue Informationen, die
›Skrophuus‹ und seine unheimliche Art zu leben und zu
handeln unter Umständen entlarvten?
Björn Hellmark ließ Macabros entstehen, und so kam es,
daß der gleiche Mann, der viele Meilen vom ›Alhambra‹
entfernt in einer finsteren Gefängniszelle saß, in diesem
Moment auch die Rezeption des feudalen Hotels betrat.
Niemand hatte ihn kommen sehen. Macabros war wenige Schritte vor
dem Hoteleingang wie ein Geist aus der Luft entstanden.
Er blickte in die große, freundlich beleuchtete Halle. Viele
Gäste saßen in dick gepolsterten Sesseln, blätterten
gelangweilt in Zeitungen und Magazinen oder nippten an Drinks und
beobachteten die ein- und ausgehenden Personen.
Neben der Treppe stand ein kleiner Tisch. Daran saß eine
schwarzhaarige Exotin mit einem Kleid, dessen Ausschnitt eine
Offenbarung war.
Die gutgebaute, kurvenreiche Frau musterte den großen
blonden Mann, der mit federndem Schritt die Halle durchquerte und die
beiden Sandsteinstufen zum Restaurant emporeilte. Dann hob sie
merklich die Augenbrauen. Macabros befand sich auf ihrer Höhe.
Ihre Blicke begegneten sich. Es war ein vielsagender Blick. Ein
amüsiertes Lächeln spielte um die schön geschwungenen,
verführerisch schimmernden Lippen der Exotin. Macabros erwiderte
dieses Lächeln und eilte weiter.
Wie vermutet fand er Richard Patrick im Restaurant.
Der Verleger hatte eine Rotweinkaraffe vor sich stehen und machte
in einem Block eifrig Notizen.
»Hallo, Rich«, sagte Macabros und nahm an Patricks Tisch
Platz.
»Hallo, Björn«, Patrick merkte nicht, daß es
eigentlich Macabros war. Es gab keinen Unterschied zwischen
Björn und dessen Doppelkörper. »Schon hier?
Irgendwelche Neuigkeiten?«
»Das kann man wohl sagen«, murmelte Macabros. »Wie
sieht es bei dir aus?«
»Reinfall«, winkte Patrick ab. »Die Gespräche
mit dem Mädchen haben rein gar nichts erbracht. Dafür aber
habe ich eine Nachricht aus meinem Büro abgerufen, die recht
merkwürdig klingt.«
»Was für eine Nachricht ist das?«
»Sie kommt aus Tanger. Alle größeren Zeitungen
haben in ihren heutigen Ausgaben dort schon berichtet. Die Geschichte
hat für Schlagzeilen gesorgt. Ich erwarte noch heute abend einen
Mittelsmann, der mir die Originalzeitungsausschnitte bringt. Dort ist
in den frühen Vormittagsstunden Folgendes passiert: Unter den
Augen hunderter von Menschen, die sich in der Hafenregion aufhielten,
sprang plötzlich ein großer Fisch an die Kehle einer
jungen Touristin und biß sich dort fest. In ihrer Panik rannte
die Angegriffene in eine enge Gasse und verschwand im Haus des
Kaufmannes Ahmid Hassuk. Der wollte ihr helfen, mußte aber
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