Macabros 088: Die flüsternden Pyramiden
worden waren…
Er war einzige, gespannte Aufmerksamkeit. Sie galt dem Platz mit
den Steinen, der fahl unter dem Vollmondlicht lag.
Der Ort war zu einem Pulverfaß geworden.
Unwillkürlich leckte sich Hellmark die Lippen.
Er mußte sich voll und ganz auf seine Freunde verlassen
können. Wenn einer auch nur eine Sekunde zu früh die Nerven
verlor, platzte sein geschickt eingefädelter Plan wie eine
Seifenblase.
Und dann war die ›flüsternde Pyramide‹
plötzlich da.
Die Luft über den Steinen begann zu flimmern. Das
außergewöhnliche, ungeheuerliche Etwas, das Ak Nafuur mit
›flüsternder Pyramide‹ bezeichnet hatte, schälte
sich langsam und unaufhaltsam aus dem Nichts.
Die Aura des Bösen ringsum verstärkte sich schlagartig.
Es herrschte eine Atmosphäre der Beklemmung und Bedrohung.
Hellmark stockte der Atem, als das riesige weiße Gesicht in
der Dunkelheit zu leuchten begann. Es war umgeben von einer Flut
dicker, schlangengleicher Haare, die fett und ölig wirkten, sich
mehr und mehr zu verhärten schienen und etwas freigaben: Die
Dämonen, die Herren dieser Pyramide waren.
Das ganze Erscheinungsbild war so widerlich, so abstoßend,
daß Björn beim Anblick der ›Pyramide‹ fror.
Unter dem Mondlicht waren die gespenstischen, furchterregenden
Geschöpfe seitlich und über dem bleichen Maskengesicht
deutlich zu sehen. Dämonen in ihrer wahren Gestalt auf der
Erde!
In diesen Sekunden sah er noch mal die handgeschriebenen Zeilen Ak
Nafuurs vor sich. Jede Einzelheit der Botschaft hatte er sich
eingeprägt.
Die beiden Pyramiden in der Menschenwelt trugen wie ein Symbol
auch das Menschenantlitz. Die anderen ›flüsternden
Pyramiden‹, die es auf jenen Welten gab, die Rha-Ta-N’my
ebenfalls unter ihre Herrschaft zu zwingen trachtete, würden
demnach wohl das Antlitz jener tragen, die dort als Primärrasse
existierten.
Mit der Ankunft des grotesken Gebildes begannen auch die
Geräusche.
Wispern, Raunen und Kichern erfüllten die Luft.
Es hörte sich schauderhaft an, und auf eine Weise war es so
anziehend, daß man dem Rufen nur mit einiger Anstrengung
widerstehen konnte. Aus den weit aufgerissenen Mäulern der
scheußlichen Dämonen kamen teilweise sirenenhafte
Klänge, daß Björn sich im stillen fragte, weshalb er
keine Frauen sah, die ihn mit ihrer Schönheit lockten.
Er blickte sich nach allen Seiten um.
Die Freunde regten sich nicht. Sie standen unter dem Schutz
dämonenabwehrender Kräfte. Jeder von ihnen trug zur
Sicherheit ein Auge des Schwarzen Manja bei sich.
Björn hätte sich auch wohler gefühlt, wenn er eines
der rubinroten, faustgroßen Gebilde bei sich gehabt
hätte.
Aber Ak Nafuur hatte ausdrücklich für ihn jede
Schutzmaßnahme untersagt. Er mußte den Feinden, die seit
Jahrhunderten oder gar schon Jahrtausenden alle achtundzwanzig Tage
diesen Ort aufsuchten, mit bloßen Händen
gegenübertreten. Es war wie eine Prüfung, die er bestehen
mußte…
Die ›flüsternde Pyramide‹ war völlig
materialisiert und füllte den großen Platz. Von den
gewaltigen Steinquadern, den Überresten eines Gemäuers oder
eines Opferaltars aus alter Zeit, war nicht mehr das geringste zu
sehen. Es schien, als hätte der Koloß sie in sich
aufgenommen…
Die Bodenfläche der Pyramide war so groß, daß sie
den ganzen Platz einnahm und damit auch die fünf
Sprengsätze bedeckte, die sie dort versteckt hatten.
Björn Hellmark wäre es am liebsten gewesen, er
hätte die Pyramide sofort nach ihrer Materialisation in die Luft
sprengen können. Aber damit war ihm nicht gedient. Etwas harrte
seiner Entdeckung…
Als das riesige Maul sich öffnete, als die Kiefer weit
auseinanderklappten und ein makabres Tor in eine ungewisse Welt
bildeten, löste er sich aus dem Schutz der schattenspendenden
Bäume und lief den schmalen, unkraut- und moosbewachsenen Pfad
entlang, direkt auf die ›flüsternde Pyramide‹ zu.
Noch war er nicht so weit nach vorn gegangen, daß das
Mondlicht ihn erreichte, noch breitete sich das Blätterdach der
weiten Wipfel über ihm aus, als etwas geschah, was keiner von
ihnen geahnt und einkalkuliert hatte.
Mit spitzem Schrei löste sich plötzlich seitlich aus dem
Wald eine Gestalt und eilte mit großen Sprüngen auf das
Gebilde zu.
Es war eine Frau!
Hellmark blieb wie vom Donner gerührt stehen.
Im ersten Moment glaubte er, daß Danielle de
Barteaulieé die Frau sei. Sie war ebenso groß wie die
hübsche, langbeinige Französin und hatte das gleiche
schwarze, wallende Haar
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