Macabros 092: Mandragoras Zaubergärten

zu machen, mit der Orkon
zusammengewachsen war.
    Er kam sich vor wie ein winziges, unscheinbares Insekt im Wipfel
eines Riesenbaumes, der völlig kahl war.
     
    *
     
    Er war verwirrt, verzweifelt und ratlos.
    Gerd von Paczewsky saß stundenlang auf dem vorspringenden
Felsplateau, hatte die Zeit und die Welt um sich herum vergessen.
    Tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf, flüchtig wie der
Augenblick. An manchen biß er sich fest.
    Er suchte nach einem Ausweg.
    Er konnte nicht zurück und so tun, als wäre nichts
geschehen.
    Er war zum Mörder geworden. Wenn er zurückkehrte,
würde die Frage nach Peter Leitner gestellt werden. Was war aus
dem Freund geworden?
    Am plausibelsten wäre noch, den ganzen Vorgang als einen
Unfall hinzustellen. Ein Bergungstrupp würde versuchen, die
Leiche zu bergen.
    Was konnte man feststellen?
    Leitner trug noch das Seil.
    Dafür ließ sich eine Erklärung finden. Sie hatten
gemeinsam auf dem Vorsprung eine Pause eingelegt. Paczewsky hatte bei
dieser Gelegenheit das Seil gelöst. Leitner wußte davon.
Aber er vergaß es. Ein Fehltritt leitete die Katastrophe
ein.
    Das alles klang vernünftig.
    Natürlich würde man bohrende Fragen stellen.
    Mord oder Unfall – das würde sich auch die Polizei
fragen.
    Aber warum Mord? Schließlich waten sie beide eng befreundet.
Es gab überhaupt kein Motiv…
    Es sei denn, er berichtete von den Männern in Schwarz, von
ihrer hypnotischen Kraft, von ihrem grauenvollen Verlangen, daß
einer den anderen töten sollte.
    Die Männer in Schwarz waren ein Geheimnis. Nur wenige
Menschen hatten bisher überhaupt von ihnen gehört. Und die
davon gehört hatten, lachten über sie.
    Aber er hatte sie kennengelernt, und das Lachen war ihm
vergangen.
    Niemand würde ihm glauben.
    Da plötzlich stand sein Entschluß fest.
    Er mußte die Wahrheit sagen, er konnte nicht anders. Einen
Beweis gab es: Die geheimnisvolle Höhle! Weder sie noch der
Schacht, durch den Peter Leitner gestiegen war, ließ sich
verleugnen:
    Gerd von Paczewsky richtete sich ruckartig auf. Noch ein letztes
Mal ging sein Blick in die von Regenwolken verhangene Tiefe. Irgendwo
dort unten lag die Leiche des Freundes…
    Dann drehte er sich weg. Mit dem Ersatzseil, das er bei sich trug,
begann die langsame, mühselige Klettertour nach unten,
während der Regen unablässig auf ihn
herabrieselte…
     
    *
     
    Er hatte das Gefühl, schon hundert Meter tief in den Boden
unterhalb des villenähnlichen Hauses eingedrungen zu sein.
    Mit jedem Meter, den er weiter kletterte, verzweigte sich das
unvorstellbare, riesige Geflecht immer mehr.
    Ein Ozean von dicken und dünnen Wurzeln lag unter und
über ihm. Er steckte mitten drin, winzig klein und verloren.
    Ihn umgab unbeschreibliche Stille.
    Macabros warf einen Blick zurück.
    Er hätte nicht mehr zu sagen vermocht, von wo er gekommen
war. Ein einziges, verschlungenes Labyrinth umgab ihn.
    Macabros kannte keine Furcht.
    Aber Hellmark empfand sie. Was für ein Weg, was für eine
Welt! Er durfte sich nicht vorstellen, wie ihre Expedition ausgesehen
hätte, wenn sie zu viert auf dem Weg in die Zaubergärten
Mandragoras durch das Titanengeflecht der Wurzeln gekrochen
wären…
    Macabros kürzte den Weg ab.
    Die Zeit, die ihm zur Verfügung stand, war begrenzt. Es
mußte ihm gelingen, den auslösenden Faktor zu finden, der
sie alle in Bann geschlagen hatte und drohte, sie
auszulöschen.
    Irgendwann würde der Zeitpunkt kommen, wo ihr Organismus der
Belastung nicht mehr gewachsen war. Und selbst wenn sie die totale
Erstarrung mit Hilfe der Dämonen-Abwehrmittel verhindern
konnten, drohte ihnen der Tod durch Verhungern und Verdursten.
    Macabros versetzte sich eine große Strecke in die Tiefe.
    Die schummrige Atmosphäre veränderte sich nicht, seine
Umgebung blieb gleich. Der Riesenstrunk schien überhaupt kein
Ende zu nehmen. Wieviel Quadratkilometer Umfang hatte er?
    Zehn? Hundert? Tausend .?
    Noch ein Sprung, der seinen ätherischen Körper in
endlose Tiefe warf.
    Macabros mußte an Orkon denken. Wenn dessen Geschichte
stimmte, dann war der nicht nur Wochen, sondern Monate oder gar Jahre
unterwegs gewesen.
    Strecken, die Hellmarks Doppelkörper in Bruchteilen von
Sekunden zurücklegte, bedeuteten für einen Menschen aus
Fleisch und Blut mehrere Tagesreisen…
    Wieder materialisierte Macabros in einer anderen Tiefe.
    Sein Körper erstand mitten im Geflecht aus dem Nichts,
diesmal direkt neben einem Skelett, das dreimal so groß war wie
er!
     
    *
     
    Björn