Macabros 104: Höllenspuk
Zimmer waren aufgeräumt, und Danielle hatte das
Gefühl, jeden Moment würde jemand zur Tür hereinkommen
und sie auf ihre Anwesenheit ansprechen. Dies provozierte sie
geradezu, sie hoffte, es würde so sein. Sie rief sogar mehrere
Male nach der Herrin des einsamen Hauses… Vergebens! Niemand
antwortete ihr. Niemand kam.
Dann ging sie ins Hotel und betrat zuerst den hinteren Trakt, der
den Freunden aus dem Zwischenreich vorbehalten war. Auch hier konnte
sie jedes Zimmer betreten, entdeckte die Altäre, sah die Bilder
mit den Nebellandschaften und fühlte, daß es mit dieser
medialen Malerei etwas Bestimmtes auf sich hatte. Auch hier erwartete
sie förmlich eine Begegnung mit Madame Fraque oder einem Geist
– wie es bei Rani Mahay durch die junge Claudia Sevoir der Fall
gewesen war.
Doch wiederum – nichts…
Madame Fraque verhielt sich ihr gegenüber völlig anders
als dem Inder. Rani war durch Trugbilder zunächst in Sicherheit
gewiegt worden. Und sie, Danielle, wurde so behandelt, als wisse man
nichts über ihre Anwesenheit.
Aber dieser Eindruck war falsch. Die junge Französin
spürte es ganz deutlich.
Sie wurde beobachtet. Von zahllosen Augen gleichzeitig, wie ihr
schien.
»Kommen Sie heraus!« rief sie unerwartet. Laut hallten
ihre Worte durch den langen, menschenleeren Korridor. »Zeigen
Sie sich doch! Wovor fürchten Sie sich? Wenn Sie so mächtig
sind, wie Sie tun – dann treten Sie mir gegenüber. Aber Sie
fürchten sich vor mir, das ist die Wahrheit! Sie wissen,
daß ich Ihnen gefährlich werden kann… Die Kraft, die
in mir wirkt, entstammt dem gleichen Quell. Ich bin bereit, mich mit
Ihnen zu messen. Nun, wie steht’s damit?«
Es geschah – nichts…
Sie kam auch in den Raum, in dem in jener Nacht der Schnee
gefallen war, der den Bäcker aus Céreste und auch die
tote Camilla Davies bedeckte. Auch jetzt kam es ihr vor, als
wäre die Luft hinter den zugezogenen Gardinen besonders frisch
und kühl. Madame Fraque konnte im Innern ihres Hauses den
Elementen befehlen. Sie konnte Schnee und Eis entstehen lassen. Und
sie liebte diese Kälte.
Wie angegeben fand sie auch die Falltür. Sie stieg die
Hühnerleiter hinab, durchquerte den Kellerkorridor und kam in
die Gruft mit den steinernen Särgen.
Die Abdeckplatte des Sarkophags, auf dem der Name von Lord Chester
of Woolath eingemeißelt war, war seitlich verrückt. Das
hatte Rani noch getan. Und er hatte geglaubt, sie in dem Sarkophag
liegen zu sehen. Aber die pergamenthaft vertrockneten sterblichen
Überreste des Lord lagen darin. Die anderen Steinplatten konnte
Danielle nicht bewegen. Sie waren zu schwer.
Sie fragte sich, ob die Dinge, die sie umgaben, wirklich so waren,
oder ob auch sie vielleicht nicht schon längst hypnotische
Trugbilder registrierte, ohne sie – wie Rani – als solche
zu erkennen. In diesem Haus und Hotel war alles möglich.
Ihr gegenüber begegnete man absichtlich anders, um auch ihr
Mißtrauen einzuschläfern. Aber leicht sollten es die
unsichtbaren Gegner nicht haben.
Danielle erschrak selbst, als sie mit einem Blick auf die Uhr
feststellte, daß sie schon einige Stunden in dem
mehrgeschossigen Hotel verbracht hatte. Sie hatte keine Kammer, kein
Zimmer ausgelassen. Irgendwo schließlich mußte die
Besitzerin doch stecken!
In Luft aufgelöst haben konnte sie sich nicht, nachdem sie
soviel Wert auf körperliche Anwesenheit legte. Madame Fraque war
in jener Gespensternacht zu einem jungen Mädchen geworden. Die
Sehnsucht nach Jugend und Leben allein hatte doch nur einen Sinn,
wenn sie sich dieses Körpers auch bediente.
Wenn sie sich nur versteckte – was hatte sie dann davon?
Dieser Gedanke beschäftigte Danielle de Barteaulieé
lange. Unwillkürlich gingen ihr dabei Dinge durch den Kopf, die
sie selbst mal sehr wichtig fand. Auch sie war mal in einer
ähnlichen Lage gewesen. Vor Jahrhunderten hatte ihr Vater den
Pakt mit der Dämonengöttin geschlossen. Er wollte das
Altern seiner bildhübschen, begehrenswerten Tochter verhindern.
Danielle fand diesen Wunsch und diese Absicht unterstützenswert.
Doch der Comte de Noir wollte zwar die Leistung, war aber dann nicht
bereit, die Rechnung zu bezahlen.
Danielle war abgesichert. Rha-Ta-N’my konnte ihr weder ihre
Jugend noch ihre Schönheit je wieder nehmen, noch die
Hexenkräfte, die ihr zuteil geworden waren. Für seinen
Verrat jedoch büßte der Comte.
Danielle de Barteaulieé war in ihrer Entwicklung jedoch an
einem Punkt angelangt, der ihr zeigte, daß Jugend
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