Macabros 104: Höllenspuk
seiner Feinheit,
seiner Detailfreudigkeit in Nichts dem darüber hängenden
echten Gemälde nachstand.
Die bizarre Frau mit den Schlangenarmen schritt auf das
Gemälde zu, das genau ihre Größe hatte. Und
verschwand zwischen wabernden, farbigen Nebelschleiern.
Im gleichen Augenblick begann die schwarze Marmorplatte sich
wieder vom Boden zu lösen.
Dies war der Moment, in der Danielle de Barteaulieés
Entscheidung fiel.
Das Nebel-Bild mit der düsteren Landschaft hatte die Funktion
eines Tores in eine andere Dimension, möglicherweise in jenes
Zwischenreich, von dem Rani schon erfahren hatte.
Dort trafen sie sich. Alle. Und jeder benutzte das Tor von seinem
Zimmer aus. Aber am Sammelort würden sie dann offensichtlich
wieder zusammenfinden.
Nun wunderte sie sich auch nicht mehr, wieso ihre Suche nach
Madame Fraque die ganze Zeit ergebnislos verlaufen mußte. Wenn
sie die Gelegenheit hatte, sich in einer anderen Dimension zu
verbergen…
Und Rani!
Ihr Herz machte plötzlich einen Sprung. Es sah ganz so aus,
als hätten sie wegen ihm schon so früh das Ritual
eingeleitet. Um ihn in die Hände seines Richters zu
bringen?!
Das konnten nur Rha-Ta-N’my und Molochos sein.
Dennoch – für Danielle de Barteaulieé gab es kein
Halten mehr.
Sie sprang auf die sich hebende Platte zu und trat darauf. Die
Platte hielt auch sie. Von dem Spiegelbild des Gemäldes war noch
alles frei. Die Platte glitt langsam auf den unteren Bildrand zu.
Da warf Danielle sich nach vorn, ohne Rücksicht auf die
Folgen ihrer Entscheidung. Sie hatte nicht die Zeit, erst wieder auf
die Rückkehr der seltsamen Bewohner dieses Hoteltraktes zu
warten, um zu sehen, wie sie den Aufenthalt »drüben«
überstanden hatten. Nach dieser Rückkehr würde es
vielleicht keinen Rani Mahay mehr geben…
So aber konnte sie – vielleicht – noch etwas für
ihn tun.
Alles war voller Ungewißheit. Aber sie war ihr im Moment
lieber als das absolute »Aus«…
Und so warf sie sich nach vom in den farbigen Nebel.
Sie stolperte, denn in diesem Moment erreichte die nach oben
schwebende Altarplatte den unteren Bildrand, ein Hauch von einem
Millimeter der Projektion wurde abgedeckt.
Instinktiv riß die junge Französin die Arme nach vorn,
um sich abzustützen.
Sie stolperte über einen steinernen Vorsprung, der wie eine
Treppe war.
Danielle hatte Glück, daß sie sich keine Sekunde
später entschlossen hatte, den Weg durch die Projektion der
Nebellandschaft zu gehen.
Die Französin umklammerte instinktiv den Rand des
scharfkantigen Steines, als wolle sie nicht weiter in die Tiefe
stürzen.
Und da entstand – wie in einem Alptraum – blitzschnell
eine gähnende, eisige Leere hinter ihr, daß sie sich
atemlos umwandte und mit panischem Entsetzen feststellte, wie
Hunderte von Treppen steil nach unten führten!
Treppen, die nach unten wuchsen wie ein gigantischer, schwarzer,
genau beschnittener Kristall.
Wenn sie jetzt losließ, würde sie in der endlosen
Düsternis irgendwo zerschmettern… Wenn sie eine Sekunde
später den Weg in die Projektion genommen hätte, wäre
sie irgendwo in halber Höhe auf den steilen Treppen angekommen,
und sie hätte Stufe für Stufe nach oben kriechen
müssen. Ihr wurde schwindelig, wenn sie nur daran
dachte…
So lag nur eine Stufe vor ihr.
Sie war ihr momentaner Schutz, hinter dem sie sich verbarg und
einen ersten Blick in die Welt warf, in der sie angekommen war.
Es war das zum Leben erwachte Grauen, dem sie in die Augen
sah…
*
Die Wände vor ihr sahen dunkel, glitschig und feucht aus. Wie
die Wände einer Felshöhle, die von Zeit zu Zeit unter
Wasser lag.
Moosartige Pflanzen und Algen wuchsen darauf.
Kopfgroße, besonders intensiv naß schimmernde Zellen
durchsetzten diesen atmenden Stein, der von Korridoren und
höhlenartigen Gängen durchsetzt war.
In den stumpf glühenden Wegen durch diese pulsierende,
atmende Welt, die sie an das Innere eines gigantischen Organismus
erinnerte, bewegten sich die Geschöpfe aus den Hotelzimmern der
Madame Fraque!
Von ihrem Beobachtungsort aus sah Danielle mehrere Gestalten, die
leichtfüßig zwischen den glitschigen Felsen verschwanden,
an irgendeinen Ort eilten und keinen Blick mehr
zurückwarfen.
Da schob sie sich über die Treppe, erhob sich und lief
geduckt bis zu einem Mauervorsprung, von dem aus zwei Gänge in
unterschiedliche Richtungen liefen.
Sie war froh, von der Treppe fort zu sein, die eine
schwindelerregende Tiefe erreicht hatte und mit Blicken
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