Macabros 105: Jagd auf den Horror-Götzen
etwas geben… es hat uns niemand
etwas davon gesagt, entschuldige bitte…«
Und fast hätte er gesagt: Und in der Legende, die ich von den
Eingeborenen her kenne, hat niemals ein Fährmann eine Rolle
gespielt. Das ist neu!
»Nun gut, wenn ihr nichts davon gewußt habt, kann euch
kein Vorwurf gemacht werden…«, antwortete Nomo.
»Ich könnte dir mein Schwert geben«, schlug Harry
vor. »Oder einen Dolch. Sieh’ dir an, welch kostbar
geschnitzte Griffe sie haben. Sie sind aus einem Material, das du
sicher hier noch nie gesehen hast. Oder kennst du das Land
östlich der violetten Felsen, das Land, das der Ondur
durchströmt?«
»Nein, ich kenne es nicht… ich werde mir deinen
Vorschlag merken. Wenn wir drüben sind, werde ich euch meine
Entscheidung mitteilen…«
Die beiden Männer betraten den Nachen, hockten sich auf den
feuchten Boden, und Nomo stieß ab.
Harry Carson hatte ein mulmiges Gefühl im Magen. Dieses
seltsame Zusammentreffen behagte ihm nicht.
Er stemmte das Schwert zwischen die Beine und ließ den,
schattengleichen Fährmann nicht aus den Augen. Leise
plätscherte das Wasser gegen die niedrigen Bordwände. Der
Fluß war eine einzige träge Masse und schien
überhaupt keine Strömung zu haben.
Auch Macabros ließ den eigenwilligen Fährmann nicht aus
den Augen. Seine Hände steckten in schwarzen, stumpfen
Handschuhen, sein Gesicht wurde von der voluminösen Kapuze stets
im Schatten gehalten. Und da in dem nebligen Land Un die Sonne nicht
schien, gab es kein Licht, das den Schatten hätte vertreiben
können.
Die Überfahrt ging schweigend vonstatten. Niemand sprach ein
Wort.
Der Fluß war sehr breit. Mit jedem Meter, den sie weiter vom
anderen Ufer zurücklegten, wurde Macabros nachdenklicher.
Er fragte sich, ob es richtig gewesen war, Harry Carson
mitzunehmen.
Dieser Ausflug nach Un enthielt seine Risiken. Sie wußten
nicht, was auf sie zukam.
Aber Harry hatte unbedingt dabei sein wollen…
Nomo drückte den Stab ein letztes Mal in die Fluten des
Santor. Dann war ein leises Knirschen zu hören, als das Heck des
Nachens mit dem flachen Uferrand in Berührung kam.
Sie waren auf der anderen Flußseite.
Automatisch erhoben Macabros und Harry Carson sich.
»Nun, Fährmann, nenn’ uns deinen Preis«, sagte
Macabros. Zur Auswahl hielt er – wie versprochen – sein
Schwert und seinen Dolch hin.
»Ich möchte weder das eine noch das andere«,
erwiderte Nomo mit dunkler Stimme.
»Wir haben sonst nichts, was wir dir geben
könnten.« Macabros ging absichtlich so weit nach vorn,
daß er das umschattete Gesicht direkt vor sich sah. Doch nach
wie vor konnte er es nicht erkennen, obwohl er sich bemühte.
»Doch das könnt ihr… vielleicht«, fügte
der seltsame Mann noch hinzu. »Beantwortet mir eine
Frage…«
»Gern, wenn es uns möglich ist.«
»Was veranlaßt euch, nach Un zu gehen?«
»Wir suchen das ›Singende Fahsaals‹«, lautete
Macabros’ Antwort.
Täuschte er sich – oder war es wirklich so, daß
Nomo leicht zusammenzuckte.
»Dann habt – ihr euch viel vorgenommen…«
»Du weißt etwas Näheres darüber?« hakte
Macabros sofort nach. Jede Information, die das ›Singende
Fahsaals‹ betraf, war ihm willkommen.
»Wissen ist zuviel gesagt… Man hört das eine oder
andere. Schon viele habe ich übergesetzt, die gehofft haben, es
zu finden. Man sagt, es sei irgendwo im Ewigen Nebel verborgen…
Um dorthin zu kommen, muß man Un durchqueren. Wenn man von
dieser Seite des Flusses kommt. Vom Süden her zu kommen, lohnt
allerdings nicht. Ihr hättet dann den ›Wall der
allessehenden Augen‹ durchbrechen müssen. Dies ist stets
mit erhöhtem Risiko verbunden. Die › allessehenden
Augen‹ sind unberechenbar. Aber Un ist es nicht minder. Wegen
der drei Zauberinnen. Vor ihnen warne ich euch…«
»Wir haben schon von ihnen gehört. Aber du hast uns noch
immer nicht deinen Wunsch genannt…«
»Ich habe ihn nicht vergessen. Ich habe eine Bitte an euch.
Wenn ihr auf Amona, Berana und Coroka trefft, holt mein Leben
wieder…«
Macabros und Harry Carson wirkten betroffen.
»Was meinst du damit, Nomo?«
»Dies ist ein Geschenk, das ich von euch erwarte. Ihr werdet,
wenn ihr erfolgreich seid, wieder über den Santor
zurückkehren wollen. Dann braucht ihr mich. Bringt mein Leben
mit…«
Mit diesen Worten steckte er den Stab tief in das bleiern wirkende
Wasser und stieß vom Ufer ab. Lautlos und schnell glitt der
Nachen in den Nebel. Dunkel und hoch ragte die aufrecht
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