Macabros 111: Molochos Flucht ins Jenseits
mir
bereits zurechtgelegt…«
Carminia wollte etwas sagen, merkte jedoch in diesem Augenblick,
wie ihre Brust enger zu werden schien.
Etwas schnürte ihr die Luft ab.
Sie riß den Mund auf und schnappte nach Sauerstoff wie eine
Ertrinkende:
Molochos spürte ihr Zusammenzucken.
»Gleich ist es vorbei, wir überqueren in diesem
Augenblick die Grenze zum Totenland…«
*
Sie wollte schreien, aber eine unsichtbare Hand schien ihr den
Mund zu verschließen.
Die blau-schwarze Düsternis wurde dichter, hüllte sie
ein wie Nebel und berührte sie.
Carminia hatte das Gefühl, mit aller Gewalt in eine
Röhre gepreßt zu werden, und dann verzog sich ihr
Körper wie eine zähe Masse. Er paßte nicht in die
Form, die dieser Nebel bildete.
Sekundenlang dauerte der Übergang.
Er kam ihr vor wie eine Ewigkeit, und sie glaubte, zu sterben.
Ermattet lag sie vor Molochos, quer über dem Rücken des
Knochengauls.
Ihr Denken setzte aus, Herzschlag und Atmung stockten… dann
wich die unheimliche Klammer um ihre Brust plötzlich wieder
zurück.
Die Atmosphäre war verändert.
Ein anderes Licht! Bräunlich-fahl, mit schwarz-blauen
Schatten.
Das Gefühl großer Einsamkeit und Verlassenheit fiel sie
an.
Molochos zügelte das Skelett-Pferd. Es stand sofort.
Der Dämonenfürst schob Carminia Brado einfach seitlich
von dem Reittier herunter.
Die Brasilianerin riß instinktiv die Arme in die Höhe.
Aber sie konnte den Sturz nicht mildern, weil ihre Hände und
Füße gebunden waren.
Dumpf schlug sie auf.
Der Boden war unerwartet weich und schwammig. Wie ein Sumpf,
schoß es ihr durch den Kopf. Wollte Molochos sie nun auf diese
Weise…?
Da war er schon neben ihr und riß sie herum.
Mit zwei, drei schnellen Griffen löste er ihre Fesseln.
»Du kannst dir die Mühe sparen«, höhnte er,
als er erkannte, daß sie begonnen hatte, ihre Fesseln zu
lockern. »Hier brauchst du keine Fesseln… und doch bist du
in einem Gefängnis, aus dem niemand entkommt.«
»Wo hast du mich hingebracht…
Scheusal?«
»Ich sagte es bereits. Ins Totenland… Hier herrscht ein
ewiges Kommen, aber keiner, der je wieder von hier fortgegangen
wäre.«
»Du lügst!« stieß sie hervor. »Du
weißt, daß das Reich der Toten für dich nicht
zugänglich ist, daß es die Schwäche aller
Dämonen und Dämonenschergen ist, keinen Einfluß im
Jenseits ausüben zu können…«
»Das stimmt nur bedingt. Jenseits ist nicht gleich Jenseits.
Von Gigantopolis aus gibt es einen Zugang – zu dieser Zeit und
an diesem Ort. Außer mir kennt ihn keiner. Ich bin also bis zum
Anlaufen neuer Aktivitäten hier hervorragend
geschützt.«
Er klopfte dem fahlen Knochengaul gegen den Hals, und es
hörte sich an, als würde jemand mit einem Stab auf einem
Xylophon herumschlagen, dessen Resonanzkasten aus hohlen Knochen
bestand.
Carminia Brado richtete sich weiter auf und erhob sich dann.
Molochos stand reglos wie eine Säule neben ihr.
Die Luft war diesig, der Untergrund weich und schwammig und
federte unter ihren Füßen, als sie zwei, drei Schritte
ging.
Molochos breitete die Arme aus, und der schwarze Umhang entfaltete
sich unter der Bewegung.
»Gehe fünfzig Schritte oder hundert… oder
tausend… Diese Dimension ist ohne Grenzen für dich. Du
wirst immer wieder an die gleiche Stelle hin zurückkehren, von
der du aufgebrochen bist. Sieh dich um! Ich werde dich hier
zurücklassen, um die Dinge einzuleiten, die getan werden
müssen, um Gigantopolis wieder in den Griff zu bekommen.
Die Zeit ist günstig. Du weißt, in welcher Zeitebene
wir uns befinden, nicht wahr? Es ist Xantilons Vergangenheit. Die
Tage des Untergangs sind nahe. In Xantilon wimmelt es von Streitern
aus dem Reich der Finsternis, denen sich nun die Bewohner von
Gigantopolis hinzugesellt haben. Ich habe tausend Helfer an jedem
Finger, wenn ich sie rufe…«
»Aber so einfach scheint es nicht zu sein«, erwiderte
die Brasilianerin fest. »Sonst hättest du es längst
getan…«
»Und genau deshalb lasse ich dich jetzt allein. Du wirst die
einzige Lebende unter Toten sein – und die können dir nicht
helfen. Du kannst es ja mal versuchen…«
Er lachte höhnisch, schwang sich auf das Skelett-Pferd und
jagte davon.
Molochos verschwand in der bräunlich-fahlen Dämmerung
und ließ Carminia Brado im Jenseits zurück.
*
»Bücher?« hörte er sich flüstern.
»Hier gibt’s doch keine Bücher…«
Er starrte hinein in die Weite einer gewaltigen Halle. Sie
erinnerte ihn an ein
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