Macabros 119: Flieh, wenn der Schattenmann kommt
können oder die
in der Lage sind, Gegenstände zu versetzen, ohne sie mit ihren
Händen zu berühren.«
»Richtig. Solche Leute gibt es. Aber das Feld ist
größer, als allgemein bekannt. Man weiß auch von
Menschen, die sich an einen anderen Ort versetzen können, wenn
sie das wollen… Ich gehöre zur letzten Kategorie. Als ich
merkte, was mit Ihnen geschah, versetzte ich mich in Ihre Nähe.
Ich wollte nicht, daß Sie sterben… Und Sie selbst wollten
es doch auch nicht!«
»Nein, ich wollte es auch nicht.«
Der blonde Mann mit dem sonnengebräunten Gesicht nickte.
»Dann verstehen wir uns beide. Vergessen Sie das Ganze, Cindy!
Und kommen Sie nicht wieder auf dumme Gedanken. Liebeskummer vergeht
wieder, auch ohne daß man sich aus dem Fenster
stürzt.« Es klang makaber wie er das sagte, aber er wollte
ihr die Unsinnigkeit ihres Tuns noch mal drastisch vor Augen
führen.
»Was mach’ ich jetzt nur?« reagierte sie
plötzlich nervös. »Die Polizei kommt… das Ganze
wird seine Kreise ziehen… Wenn ich erzähl’, was
passiert ist… kein Mensch wird mir glauben«, stammelte
sie.
»Es wird alles seinen Weg gehen, Cindy. Sie brauchen keine
Angst zu haben. Man wird Ihnen ein paar Fragen stellen, beantworten
sie die wahrheitsgemäß.«
»Auch von dem Schatten? Und – von Ihnen…?«
»Auch davon… Es wird Ihnen wohl nichts anderes
übrig bleiben. Was die Polizei Ihnen glaubt oder nicht glaubt
– das braucht Sie nicht mehr zu beschäftigen. Sie leben
– das ist die Hauptsache.«
Seine Konturen verblaßten.
Das Mädchen Cindy sah, wie die blonde, sonnengebräunte
Gestalt langsam verwischte, durchscheinend wurde wie eine
Geistererscheinung – und dann verschwunden war.
Cindy sah die braune Holztür vor sich, hinter der Unruhe
entstand und eilige Schritte zu hören waren.
Dann wurde heftig gegen die verschlossene Tür getrommelt.
»Bitte öffnen Sie. Polizei!« rief eine markige
Stimme.
»Ja«, murmelte das Mädchen abwesend und fuhr sich
durch das Haar. »Ich komme… nur keine Aufregung… es
ist alles in Ordnung.«
Was sie den Leuten allerdings sagen sollte, wußte sie immer
noch nicht.
*
Weiter unten auf der Straße.
Björn Hellmark warf noch einen letzten Blick zu dem
einzelnen, hellerleuchteten Fenster hinauf.
Im Raum waren die Silhouetten mehrerer Personen zu sehen. Zwei
Streifenwagen der Polizei standen vor der Toreinfahrt, die vom
alarmierten Hausmeister geöffnet worden war, so daß die
Beamten ohne größere Umstände das Gebäude hatten
betreten können.
Cindy war in Sicherheit.
Björn ließ sich nochmal alles durch den Kopf gehen, was
das Mädchen ihm gesagt hatte.
Ihm gefiel die ganze Sache nicht.
Dieser lebende, selbständig agierende Schatten ging ihm nicht
aus dem Kopf.
Es mußte keineswegs so sein, wie er Cindy gegenüber
erwähnt hatte, nur um sie zu beruhigen.
Dort oben, acht Stockwerke höher, hatte ein junger Mensch
getötet werden sollen.
Es war keineswegs mehr Cindys Absicht gewesen, die
ursprünglichen Selbstmordgedanken in die Tat umzusetzen. Ein
Mord hatte geschehen sollen. Er war quasi im letzten Augenblick durch
sein Eingreifen verhindert worden.
Hing das, was dort oben fast passiert wäre, mit dem
Verschwinden von Carminia, Whiss, Danielle und Rani zusammen?
Das Gebäude, in dem der Schatten aufgetaucht war, lag nicht
weit von den Schaufenstern entfernt, die sie betrachtet hatten.
Er war so in Gedanken versunken, daß er zusammenzuckte, als
sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte und eine
vertraute Stimme »Hallo!« sagte…
Er wandte sich blitzschnell um.
*
Im ersten Moment glaubte sie, daß etwas mit ihren Augen
nicht stimmte oder ihre, übernervös reagierenden Sinne ihr
einen Streich spielten. Was nach diesem grauenvollen Ereignis kein
Wunder wäre.
Mary-Anne Kelling schloß die Augen, preßte sie fest
zusammen und öffnete sie dann wieder.
Der Eindruck blieb der gleiche.
Der Schatten war immer noch da.
Er bewegte sich fließend wie ein dünnes, schwarzes
Wesen über das obere Fensterdrittel.
Die Frau saß wie erstarrt.
Wo ein Schatten war, hielt sich logischerweise auch ein
dazugehöriger Körper auf, der diesen Schatten erzeugte.
Also doch ein Einbrecher.
Und damit – Toms Mörder!
Der eine Gedanke zog den anderen nach sich.
Zorn und Wut stiegen in ihr auf.
Sie hatte noch immer keine Erklärung dafür, wie ein
Fremder in das Haus eingedrungen sein könnte, doch ihre
Gefühle waren derart aufgepeitscht, daß sie
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