Macabros 120: Giftstachel des Skorpion-Dämons
fest.«
»Es gab also keinerlei äußere Verletzungen oder
Merkmale, die als außergewöhnlich zu bezeichnen
waren?«
Kopfschütteln. »Nein… damals noch nicht. Ich
weiß, worauf Sie hinaus wollen, Mister Hellmark… Auf den
letzten Fall, der Ihnen unglücklicherweise so drastisch vor
Augen geführt wurde.« Sie nahm wieder einen Schluck von
ihrem Reiswein, und auch Carminia und Björn sprachen dem
Getränk zu, ehe es abkühlte. »Es war der erste Fall,
der so offensichtlich von dem Skorpion-Schatten angegriffen wurde.
Sie werden sich wundern, weshalb ich den Begriff ›Schatten‹
wähle? Das hat einen plausiblen Grund.
Ich sehe immer den Schatten eines Skorpions genau in Stirnmitte,
dort, wo das unsichtbare geheimnisvolle dritte Auge des Menschen
sitzt. Ein Auge, das jeder hat. Nur ist es bei den meisten Menschen
verkümmert.
Das Zeichen des Skorpions war – für mich zumindest
– gleichzusetzen mit einem Todessignal. Ich habe es anfangs den
Menschen, bei denen ich den Skorpion entdeckte, nicht gesagt. Ich war
verzweifelt, litt und leide noch heute unter dem Wissen, das ich
allein habe und von dem ich nicht weiß, woher es
kommt.«
»Heißt das, daß Sie einem Menschen, bei dem Sie
das Zeichen sehen, nun einen Fingerzeig geben?« schaltete sich
die rassige Brasilianerin ein, die bisher aufmerksam dem Dialog
gelauscht hatte.
»Nicht direkt«, antwortete die Chinesin mit dem
japanischen Namen. »Ich spreche sie – wenn die Situation es
erlaubt – an. Das tue ich jedoch niemals bei Fremden, sondern
nur bei Menschen, die ich kenne. Stellen Sie sich vor, was man von
mir dächte, würde ich einen wildfremden Menschen ansprechen
und ihm sagen, daß sein Tod unmittelbar bevorsteht? Entweder
würde mich derjenige auslachen und mich für verrückt
halten oder so entsetzt sein, daß die Zeit, die ihm noch
vergönnt ist, für ihn eine einzige Hölle
wäre.«
Mit allem, was sie da sagte, hatte sie recht.
Sie steckte tief in einem Dilemma…
Björn und Carminia hatten es sich schwieriger vorgestellt,
mit dieser ungewöhnlichen Frau ins Gespräch zu kommen. Zum
Glück redete sie sehr offen über ihre Veranlagung.
Die beiden Besucher Kreisten besonders eine Frage ein: wieso war
aus dem Kopf des Mannes ein wirklicher Skorpion gekommen,
während in allen Fallen davor der Schatten eines Skorpions als
Zeichen des Todes auftauchte?
Diese Frage konnte auch Madame Mizu sich nicht beantworten.
Aber sie ahnte etwas.
»Etwas Böses geht vor… etwas
Unbeschreibliches… es ist, als ob eine finstere, unirdische
Macht das Leben von Menschen bedroht«, murmelte sie, und man
merkte der dicken Frau an, daß die Sache sie unablässig
und sehr intensiv beschäftigte.
Dennoch drehte das Gespräch sich im Kreis.
Björn versuchte an einer Stelle anzuknüpfen, von der er
hoffte, daß sie mehr gab, als es bisher den Eindruck
erweckte.
Begonnen hatte alles mit einem Traum. Und nun hatte es derart
schreckliche und reale Züge angenommen.
Der Schatten des Skorpions war nicht mehr nur Ankündigung
einer Todesbotschaft, sondern der Tod selbst. Der Schatten wurde
materiell, der Giftstachel schwirrte sogar wie ein Pfeil durch die
Luft und wählte sich eine Frau zum Ziel, deren Tod aus Hellmarks
Sicht bisher völlig sinnlos war.
Aber ohne Sinn war nichts geschehen.
Er kannte das Grauen aus dem Reich der Finsternis und anderer
Dimensionen zu gut, um nicht zu wissen, daß es einen
genial-schurkischen Plan verfolgte.
Auch hier erkannte er diesen teuflischen Plan, nur sein Muster,
seine Strategie und wie er angelegt war, das durchschaute er noch
nicht.
»Träume«, sinnierte Madame Mizu, »kommen
– und gehen. Die meisten vergißt man wieder. Nur einige,
die man ganz intensiv durch- und miterlebt hat – bleiben
unauslöschlich in der Erinnerung. Jener Traum, in dem ich den
Skorpion zum ersten Mal sah und der den Tod eines mir nahestehenden
und sehr lieben Menschen ankündigte, gehört in die letzte
Kategorie.
Ich sehe noch jetzt vor meinem geistigen Auge, wie ich durch ein
fremdes, wildes Land wandere. Es ist eine Wanderung durch die
Wüste. Die Luft und der Sand sind heiß, ich schleppe mich
mühsam dahin. Jeder Schritt ist eine Pein, jeder Atemzug wird
zur Anstrengung.
Dann steht plötzlich wie aus dem Boden emporgewachsen die
Pyramide vor mir. Ein altes, baufälliges Bauwerk. Die lose
aufeinandergeschichteten Quader sind verwittert und morsch.
Ich weiß nicht, wie ich hierherkomme. Ich gehe weiter,
umrunde die Pyramide und
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