Macabros 120: Giftstachel des Skorpion-Dämons
Tag hat und…«
»Es wird mit Louis überhaupt keinen freien Tag mehr
geben, und der Kerl wird sich hüten, nochmal mein Schlafzimmer
zu betreten«, fiel Jeanne ihr ins Wort.
»Heh! Seid ihr verkracht?«
»Ja. Und zwar gründlich und
endgültig…«
»Na«, meldete Desirée ihre Zweifel an, »das
kommt mir doch irgendwie bekannt vor. Ich glaube, das hast du schon
mehr als einmal gesagt…«
»Diesmal ist es todernst.«
»Ich denke, du kannst ohne ihn nicht leben, du liebst
ihn?«
»Liebe kann sich in Haß verwandeln, Desirée,
wenn einer sie kaputt macht… Louis hat mich die ganze Zeit
über betrogen. Er hatte außer mir noch eine Freundin in
Lyon und eine in Cannes.«
»Woher weißt du das so genau?«
»Ich habe mich ernsthaft mit Heiratsplänen
beschäftigt, das weißt du. Vor drei Wochen erhielt ich
einen anonymen Brief.«
»Davon hast du mir bisher kein Wort gesagt.«
»Ich tue es jetzt, wie du bemerkst. Ich mußte die Sache
allein austragen. Schließlich hätte an der ganzen
Angelegenheit auch nichts Wahres dran sein können… dann
wäre ich schön blamiert gewesen.
Louis hat einen idealen Beruf, das weißt du. Er ist oft
wochenlang im Land unterwegs, mal ganz oben im Norden, ein andermal
tief unten im Süden. Er fährt für eine Pariser
Speditionsfirma. Louis war nie ein Kind von Traurigkeit, und wenn ich
es mir genau überlege, dann müßte ich mir im stillen
selbst gestehen, daß ich eigentlich verdammt wenig über
ihn weiß. Mir gefiel sein Auftreten, seine charmante,
gewinnende Art… Ich hielt das die ganze Zeit über für
echt – bis eben jener Tip kam. Ich halte nichts von anonymen
Briefen und wollte die ganze Sache übergehen. Aber dann bin ich
doch darauf eingegangen. Ich war dies Louis und mir gegenüber
schuldig, sagte ich mir. Und ich war bereit, mit ihm über den
Brief zu sprechen und mich für mein Mißtrauen ihm
gegenüber zu entschuldigen, wenn sich herausstellen sollte,
daß ich unrecht gehandelt hatte.
Aber genau das Gegenteil trat ein.
Ich beauftragte eine Detektei mit Louis’
Überwachung.
Der langen Rede kurzer Sinn, Desirée: mir wurde
bestätigt, daß Louis tatsächlich eine feste Freundin
in Cannes hatte und mit einer Geschäftsfrau in Lyon verlobt
war.«
»Das ist unglaublich!« entfuhr es Desirée
Mallon.
»Ich habe gedacht, mir wird der Boden unter den
Füßen weggezogen«, fuhr Jeanne fort. »Aber dann
kam der Haß… Alles, was ich früher für Louis
empfand, war mit einem Mal ausgelöscht. Ich gab ihm den
Laufpaß und riet ihm, zwischen seiner festen Freundin in Cannes
und seiner Verlobten in Lyon hin- und herzupendeln und sich nie
wieder in meiner Nähe sehen zu lassen.«
»Und – wie hat er reagiert?«
»Erstaunlicherweise scheint ihn das getroffen zu haben. Er
wollte mir alles erklären. Das Ganze hätte einen Sinn…
frag’ mich nicht, welchen. Ich hab’ ihn jedenfalls nicht
mehr wissen wollen. Ich will einen Mann für mich allein haben
und nicht mit zwei anderen Frauen teilen… Ich hab’ immer
gedacht, so etwas gibt’s nur in exotischen Ländern.
Vielweiberei. Louis würde da gut hinpassen.«
Jeanne zündete sich eine Zigarette an, erhob sich kurz und
bediente rasch und aufmerksam zwei neuangekommene Gäste. Dann
kehrte sie wieder an Desirées Tisch zurück.
»Manchmal steht es nur bis hierher«, fuhr sie fort und
führte ihren Zeigefinger über die Nasenspitze. »Ich
möchte den ganzen Kram hinschmeißen und nochmal von vorn
beginnen. Ich hab’ auch schon etwas in Aussicht.«
»Du willst das Bistro abgeben?«
Jeanne nickte. »Oui… Erst mal leihweise, danach dann
für immer. Oder glaubst du, ich wollte bis zu meinem Lebensende
von früh bis spät… Non, so habe ich mir mein Leben
eigentlich nicht vorgestellt. Ich will noch etwas anderes daraus
machen. Vielleicht knüpfe ich da wieder an, wo ich einst
aufhörte.«
»Tanz?« reagierte Desirée sofort.
Sie kannte die eigentliche Schwäche und den Traumberuf der
Freundin, der fast auch ihr eigener gewesen war.
In einer Ballettschule nahe den Tuilerien, in der Seine-Metropole
hatten sie sich vor über sechzehn Jahren kennengelernt. Sie
stießen – als sie acht Jahre alt waren – damit
verhältnismäßig spät in dieses Milieu. Aber
durch Fleiß, Zähigkeit und unerbittliches Training gelang
es beiden, in die Meisterklasse aufzusteigen und bei regionalen
Veranstaltungen mit der Ballettmeisterin und der Truppe erste
Lorbeeren zu ernten.
Desirée und Jeanne träumten davon, in diesem Beruf
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