MacBest
Laß dir was einfallen!«
Tomjon ging zur Kiste. Er kannte Kronen von Kindesbeinen an, große Kronen aus Holz und Gips, mit erstklassigem Glas geschmückt. Als Säugling hatte er an den Hutkrempen der Autorität gelutscht. Doch die meisten Kronen befanden sich jetzt in der Scheibe. Er öffnete die Kiste, räumte die aus falschen Dolchen, Totenschädeln und Vasen bestehenden Sedimente vieler Jahre beiseite. Unten, ganz unten, berührten Tomjons Finger etwas Dünnes und Kronenartiges, einen Gegenstand, den nie jemand hatte aufsetzen wollen, weil er so unkronenhaft aussah.
Es wäre nett, sich vorzustellen, daß er in seiner Hand prickelte. Vielleicht geschah das tatsächlich.
Oma saß reglos wie eine Statue, und fast ebenso kalt. Der Schrecken des Verstehens kroch in ihr Bewußtsein.
»Das sind wir«, sagte sie. »Dort an dem lächerlichen Kessel. Das sollen wir sein, Gytha.«
Nanny Ogg verharrte mit einer Walnuß im Mund und lauschte aufmerksam.
»Ich habe nie irgendwelche Schiffe auf ein Riff laufen lassen!« erwiderte sie. »Die Hexen haben das gerade behauptet. Aber es stimmt nicht!«
Oben im Turm gab Magrat dem Narren einen Stoß in die Rippen. »Das Gesicht ist ganz grün.« Sie beobachtete die Dritte Hexe. »So sehe ich doch nicht aus, oder?«
»Natürlich nicht«, sagte der Narr.
»Und das Haar!«
Der Narr sah wie eine übereifrige Steinfigur an den Zinnen vorbei.
»Scheint Stroh zu sein«, meinte er. »Und offenbar ist es nicht besonders sauber.«
Er zögerte und betastete mit den Fingerkuppen nervös die flechtenbewachsene Mauer. Noch in Ankh-Morpork hatte er Hwel gefragt, welche Worte man an eine junge Dame richtete, und sie waren nun fest in sein Gedächtnis eingebrannt. Jetzt oder nie, dachte er.
»Ich würde gern wissen, ob ich dich mit einem Sommertag vergleichen kann. Weil … Nun, der zwölfte Juni war nicht schlecht, und … Oh. Du bist gegangen.«
König Verence schloß die Hände fest um die Kante der Sitzbank, und seine Finger drangen ins Holz ein. Tomjon stand jetzt auf der Bühne.
»Das ist er, nicht wahr? Mein Sohn, stimmt’s?«
Nanny Ogg nickte. Sie hatte gerade eine Walnuß knacken wollen, ließ sie nun fallen.
Verence wandte ihr ein eingefallenes durchsichtiges Gesicht zu.
»Aber was macht er da? Was sagt er?«
Nanny schüttelte den Kopf. Der König hörte mit offenem Mund zu, als Tomjon halb geduckt über die Bühne humpelte und mit seinem wichtigsten Monolog begann.
»Ich glaube, er stellt dich dar«, hauchte Nanny.
»Aber ich bin nie so gegangen! Warum hat er einen Buckel? Und was ist mit seinem Bein passiert?« Er horchte erneut, und nach einigen Sekunden fuhr er entsetzt fort: »Das habe ich nie getan! Und das auch nicht. Warum behauptet er so etwas?«
Er bedachte Nanny mit einem flehentlichen Blick. Sie zuckte mit den Schultern.
»Außerdem trägt er meine Krone! Sieh nur! Und er legt mir die schrecklichsten Dinge zur Last …« Er zögerte kurz und vernahm das letzte Reimpaar. »Na schön. Ich will es nicht abstreiten. Ich habe tatsächlich einige Hütten in Brand stecken lassen. Das tun alle Könige. Es ist gut für die Bauindustrie.«
Er setzte die geisterhafte Krone auf.
»Warum sagt er das alles über mich?« klagte er.
»Kunst«, erklärte Nanny. »Es ist Dingsbums; man hält dem Leben einen Spiegel vor.«
Oma Wetterwachs drehte sich langsam um und beobachtete die Zuschauer. Völlig hingerissen starrten sie zur Bühne, und die Worte erklangen in einer Atmosphäre allgemeiner Atemlosigkeit. Dies war realer, sogar noch realer als die Realität. Dies war Geschichte. Vielleicht stimmte sie nicht, aber das spielte keine Rolle.
Oma hatte nie viel Zeit für Worte erübrigt – ihrer Meinung nach fehlte es ihnen an Substanz. Doch jetzt bereute sie, sich nicht eingehender damit beschäftigt zu haben. Worte waren tatsächlich immateriell, so weich wie Wasser – aber sie konnten auch die Kraft von Wasser entfalten, und nun strömten sie übers Publikum, erodierten alle Deiche der Wahrheit und spülten die Vergangenheit fort.
Das sind wir dort vorn, dachte Oma Wetterwachs. Alle wissen, wer wir wirklich sind, aber die Leute werden sich so an uns erinnern, wie uns die Bühne zeigt: drei brabbelnde alte Weiber mit spitzen Hüten. Was wir getan haben, was wir gewesen sind – das alles existiert bald nicht mehr.
Sie richtete den Blick auf den Geist des Königs. Er ist nicht schlimmer gewesen als andere Könige. Oh, ab und zu hat er alte Hütten
Weitere Kostenlose Bücher