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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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der Hand hielten, verstohlen hinein, andere wiederum zogen feierlich ihre Geldbörsen heraus, damit jeder mitbekommen konnte, wie viel sie in den Beutel fallen ließen. Auch vor Andrejko und Anetka machte der Beutel halt, sie wurden rot und suchten verlegen in ihren Taschen nach ein paar vergessenen Münzen, und der prall gefüllte Beutel hüpfte klimpernd vor ihren Augen. Vor lauter Scham wäre Andrejko am liebsten im Boden versunken. Eine Erinnerung an Tante Majka schoss ihm durch den Kopf, wie sie bei den Franziskanern oder in der St.-Bartholomäus-Kathedrale immer einen Fünfer in den Opferstock geworfen hatte, man kann ja nie wissen, sagte sie jedes Mal. Aber da hatte das niemand von ihr verlangt, kein Beutel hüpfte vor ihren Augen. Und geholfen haben ihr die Fünfer auch nicht, seufzte er bitter, vielleicht hätte sie mehr reinwerfen müssen oder gar nicht hingehen   …
    Die nicht gereichten Hände und die ausweichenden Blicke, die taten weh.
    |261| Sie mögen euch nicht, weil ihr sonntags arbeitet, versuchte Mihalič die erlittene Schmach herunterzuspielen, als er sie endlich eingeholt hatte. Da solltet ihr lieber nicht wieder hingehen, er drehte sich um und deutete zur Kirche, aber dann winkte er ab. Wozu alte Wunden aufreißen   … Die Zigeuner sind einfach immer anders gewesen, ihnen bedeuteten die hundertjährigen Bräuche und Gepflogenheiten der Poljaner nichts. Es war Brauch, Filzschuhe zu tragen und für die Feldarbeit Stiefel anzuziehen, es war Brauch, sich jeden Tag auf dem Acker abzurackern, von der Morgendämmerung bis zum Abendrot, vom starken Kaffee nach dem Aufstehen bis zum schmerzenden Rücken am Abend, wenn man die Erinnerung an die ganze Plackerei in starkem Schnaps ertränkte, es war Brauch, sich sonntags schwarz zu kleiden und in die Kirche zu gehen und von der Kirche in die Schenke. So machte man das in Poljana, und nicht wie Andrejko und Anetka, die am Sonntag arbeiteten und in neuen Kleidern und roten Schuhen durch das Dorf spazierten   …
    Andrejko musste die Hände zu Fäusten ballen, um die Tränen zu unterdrücken. Saß ein Poljaner in der Klemme, musste etwa schnell eine Jauchegrube geleert werden,dann war es kein Problem, Andrejko zu bestellen, Sonntag hin, Sonntag her.
    Nachdem die beiden zur Siedlung abgebogen waren, schüttelte der Förster noch lange den Kopf darüber, dass Andrejko mit Anetka in die Kirche gegangen war. Welcher Teufel mochte ihn geritten haben? War ihm denn nicht klar, dass sein Platz für immer und ewig am Krampen oder am Jaucheschlauch sein würde, selbst wenn er goldene Hände hätte, selbst wenn er in eine Kalkgrube springen oder sich in weißen Federn wälzen würde? Er würde höchstens an einem lustigen Kneipenabend Geige spielen dürfen, ein Zigeuner bliebe für immer Zigeuner   …
    |262| Vielleicht mochten die Menschen sie deswegen nicht, weil sie durchs Fernsehen und aus den Zeitungen mitbekamen, wie klein ihre Welt war, und wie man dort lebte, wo Andrejko und Anetka hergekommen sind, dachte Mihalič. Sie wussten ja, dass sie selbst nie den Mut fänden, alle Brücken hinter sich abzubrechen und sich auf den Weg zu machen, sie waren ja an ihre Felder und an ihre Häuser gekettet, Andrejko und Anetka wiederum besaßen gar nichts, um das sie bangen mussten, nicht einmal eine Ziege oder ein Kaninchen. Sie brauchten nicht zu fürchten, dass ihre Kuh krank werden oder der Hagel ihre Ernte vernichten könnte, sie zerrieben die Scholle nicht zwischen den Fingern, sie rochen nicht an ihr, sie wetteiferten nicht, wessen Grundstück steiniger war und wer wie viele Einträge im Grundbuch hatte, sie hatten keine Angst davor, dass man ihnen das wenige, das sie besaßen, wegnehmen könnte.
    Denn immer war da noch etwas, das einem weggenommen werden konnte. Noch gestern hatte es an der Cirocha alte ruthenische Dörfer gegeben: Starin, Ostrožnica, Smolník   … Sieben Dörfer waren auf dem Grund eines neuen Stausees verschwunden, und die umgesiedelten Dorfbewohner hockten heute in Humenné in einem Plattenbau, kochten ihre Suppe und ihren Kaffee mit dem Wasser, das um die Mauern ihrer ehemaligen Häuser floss, und verdorrten wie schlecht umgepflanzte Bäume   … Denn eine hundertjährige Eiche fällt um wie ein Mann, der einen Eimer Schnaps geleert hat   – einen solchen Baum oder einen solchen Kerl richtet keiner wieder auf, das hat bisher noch keiner geschafft.
    Aber ein Zigeuner konnte kein Feld verlieren, auf dem er den größten Teil seines

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