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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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sie dort im tropfnassen Kleid auf einem Stein und war glücklich, dass die beiden sie anstarrten, dass sie den Blick abwenden mussten, weil das nasse Kleid mehr von ihr freigab, als wenn sie es ganz abgestreift hätte   … Wieder zu Hause, ließ sie nur Andrejko hinein. Tibor musste draußen auf der Wohnwagentreppe bleiben, er krümmte sich dort zusammen und jaulte vor Schmerz wie ein kleiner Wolf, den das Rudel ausgeschlossen hatte.
    Am nächsten Morgen sagte er, dass er wieder zurückmüsse, und Anetka steckte ihm alles Geld, das sie zu Hause fand, in die Tasche, fürs nächste Mal und für die Fahrkarte, sagte sie lächelnd, brachte ihn bis zur Straße und schloss ihn noch einmal in die Arme. Er schien noch etwas sagen zu wollen, aber |273| dann drehte er sich rasch um und war bald hinter der ersten Biegung verschwunden.
    Vielleicht hätten sie im Herbst nicht zulassen dürfen, dass Tibor zurück nach Pilsen ging, sagte Andrejko abends, als er von der Arbeit kam. Vielleicht habe er gehofft, dass ihn Anetka an der Hand nehme und sage, wir kommen mit, vielleicht habe er gehofft, nicht allein zurückzumüssen   … Andrejko dachte an die Tante, wie sie Tibor mit Schlaftabletten vollgestopft hatte, damit er sie bei ihren traurigen Wanderungen durch die Petrohrader Spelunken nicht störte, damit sie sich unbeschwert den bierfeuchten Umarmungen hingeben konnte. Tibor liebt seine Mama, dachte er, er kehrt nicht aus Mitleid zu ihr zurück, oder weil er keinen anderen Platz auf der Welt hat, nein, er liebt sie, er hätte ja auch hierbleiben können. Tibor ist der letzte und einzige Mensch auf der Welt, der Ida noch liebt   …
     
    Anetka saß schweigend am Fenster, wischte sich ab und an mit der Hand ihre feuchten Augen, und Andrejko holte die Geige hervor. Er untersuchte sie ausgiebig von allen Seiten, Demčaks Fiedel war wirklich schön, rund wie ein Mädchenkörper mit breiten Hüften und einem schlanken Hals, bloß ohne Arme, sie war auf die Hände anderer angewiesen. Dann wischte er sie mit dem Ärmel sauber, pustete den Staub aus ihrem Inneren, richtete den Steg und machte sich daran, die Saiten zu spannen. Andrejko stimmte Demčaks Geige und versuchte, ihr dabei Melodien zu entlocken, sein Herz, das sang schon, aber seine Finger, die sich wie junge Weidenruten über die Saiten beugen sollten, waren geschwollen und unbeweglich wie Eichenpflöcke, schwer wie Blei.
Sar te muterďahas pre taťi blacha,
als würdest du ’ne Katze am Schwanz ziehen oder auf heißes Blech pissen, stichelte |274| Anetka, und Andrejko biss sich auf die Zunge, aber er wusste selbst, dass sie recht hatte.
    Und er legte die Geige zur Seite und betrachtete erstaunt seine rauen und rissigen Hände, sie waren voller Schwielen, Narben und eingewachsener Splitter, und in dem Augenblick begriff er, dass er nie wieder spielen würde, es sei denn, er würde mit der Waldarbeit aufhören und ohne Geld leben wollen   …
    Ihm war, als stünde er auf einer Kreuzung und müsste zwischen zwei Wegen wählen, einem breiten und ausgetretenen Weg, den er direkt vor sich sah, und einem steilen, schmalen Pfad, der kräftezehrend, aber irrsinnig schön war und den er nur sah, wenn er die Augen schloss   … Er blickte abwechselnd auf das gähnende Futteral und seine verunstalteten Finger, diese Finger, die zwar eine Axt und eine Motorsäge halten konnten, sonst aber zu nichts taugten, er massierte sie eine Weile, als könnte er damit alle Verhärtungen und Schwielen abstreifen, und wie durch Zauberei wären seine Hände so geschickt und wendig wie früher, beim Stehlen. Damals hatte es beim Hütchenspielen keiner mit ihm aufnehmen wollen, so flink waren seine Finger   …
    Würden bloß seine Hände wieder über das Griffbrett gleiten können, wenn er Freude oder Kummer verspürte, fände er bloß den Mut und die Kraft in sich, dem schwindelerregend steilen Pfad zu folgen, könnte er sich dafür entscheiden, ein ganz gewöhnlicher, aber freier
degesi
zu werden, so wie es die Dunkas von jeher waren, dann würde er vielleicht sogar Hunde essen, warum denn nicht   …
    Aber neben ihm schlief Anetka, seine Sonne, sie atmete schwer, der Bauch unter ihrem Kleid wölbte sich   … Andrejko stand auf und ging hinaus, eine Weile blieb er unter den Sternen stehen, lauschte dem nächtlichen Rascheln und Summen |275| und sog den betörenden Duft der heißen Sommernacht in sich auf, dann strich er zum letzten Mal über die Geige und legte sie zurück ins

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