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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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Ebereschen und Buchen, das angewehte Laub, der Farn und das Moos auf alten Baumstämmen, alles, was Andrejko sah, leuchtete im blutigen Morgenrot, sogar die weißen Grenzsteine vor ihm schimmerten rötlich. Der Urwald erwachte in einen frostigen Morgen, die Bergrücken schienen auf dem samtweichen Wolkenmeer wie feuerrotgoldene Inseln zu treiben, und in den Tälern wälzten sich Nebelschwaden wie Büschel von Schafwolle, darunter lagen Felder und Wiesen, Wege und Ortschaften, düstere Wälder mit den morschen Stämmen entwurzelter Bäume und kristallklaren, von einer Laubschicht bedeckten Quellen, dort lag das Land seiner Vorfahren, rau, verlockend und wunderschön   …
    Und eben diese Buchen, Tannen und Lärchen wurden da unten von Mihaličs Männern abgeholzt, auf dem Kyčera fällten sie Bäume, deren mächtige Stämme wie Marmorsäulen das Himmelsgewölbe stützten, und er, Andrejko, schichtete später ihre noch lebendigen Äste und Zweige aufeinander und verbrannte sie. Dafür nahm er Geld, dafür ließ er sich mit verlausten Gadsche-Scheinen bezahlen   … Er verstümmelte die Baumstämme, sägte die krummen Äste ab, die |281| nichts auf der Welt glichen, höchstens noch den gezackten Linien auf einer Menschenhand   …
    Andrejko setzte sich auf einen Grenzstein und blinzelte in die Sonne. Er nahm das Brot aus der Tasche, brach ein Stückchen davon ab und schob es im Mund herum. Ohne Wasser wollte es nicht rutschen, er war aber auch nicht hungrig, also stand er wieder auf, und seine Füße folgten einem schmalen Pfad, der auf dem Bergrücken entlanglief. Der Weg schlängelte sich zwischen den Grenzsteinen hindurch, Andrejko ging der aufgehenden Sonne entgegen, er sprang von den Gipfeln der Bieščady zu denen der Beskiden, von der Slowakei nach Polen und wieder zurück, und er musste lachen, so lächerlich fand er die Grenze.
    Erst kurz vor Mittag stieß er auf eine Quelle. Durstig und mit ausgetrockneter Kehle neigte er sich über sie, säuberte sie vorsichtig von Zweigen und vom Laub, wartete einen Augenblick, bis der Schlamm sich gesetzt hatte, und schöpfte dann mit hohler Hand das Wasser. Langsam und voller Ehrfurcht trank er die köstliche Flüssigkeit, er achtete darauf, dass er den winzigen Quellspiegel nicht trübte, ihn nicht erschreckte, kühle Tropfen kullerten an seinen Fingern herunter wie Perlen, und Andrejko vergaß seinen Schmerz und seine vor Müdigkeit schweren Beine.
    Als er seinen Durst gelöscht und das Brot aufgegessen hatte, lief er weiter bis zu einem bemoosten dreieckigen Betonpfahl, auf jeder Seite prangte ein anderes Staatswappen, Andrejko umkreiste ihn neugierig und buchstabierte
Rzeczpospolita Polska

Československo
… in kyrillischen Buchstaben stand
Ukraina
darauf, mit jedem Schritt wechselte er von einem Land ins nächste, und in jedem sah er die gleichen, vom Wind gebeugten Buchen, Ebereschen und Ahorne hinter den Grenzschneisen. Plötzlich kam ihm in den |282| Sinn, wie Juraj ihm einmal erzählt hatte, dass hier nicht immer die Grenze verlaufen sei, dass zu den Dörfern der Verchovina, in denen er vor Jahren für die Gazdas aus Poljana Schafe gekauft hatte, Wege geführt hätten, die von keinen Schranken zerschnitten waren. Im Norden, in Galizien, sollte es nicht immer nur Urwald gegeben haben, in dem statt Menschen nur Bären und Wölfe lebten, in die tiefen Täler der Beskiden hätten sich ruthenische Dörfer und chassidische Weiler geduckt, die Poljaner hätten ungarischen Tabak dorthin geschmuggelt und die Dunkas dort mit Pferden gehandelt.
    Andrejko ließ sich in die nächste Mulde fallen, rollte sich in einem Laubhaufen zusammen und schloss die Augen. Alles drehte sich. Sein Herz schlug wie eine Kirchenglocke, kurz bevor sie vom Turm reißt, um nach einem schwindelerregenden Fall in tausend Stücke zu zerbersten   … Plötzlich spürte und hörte er seinen Atem, er ging wie eine Ziehharmonika, wenn sie die verrauchte Kneipenluft einsaugt, um sie gleich wieder auszupusten, sein Atem hörte sich an wie der Blasebalg eines Schmieds, wenn er ins Feuer bläst und die Kohle zum Glühen bringt, bis es in den Augen brennt   …
    So erschien ihm auf einmal sein Leben: ein abgekämpftes Röcheln, ein endloser Irrweg mit lauter Schlaglöchern, der Narben hinterlässt und Falten so tief wie die Risse in der Rinde eines alten Baumes   … Aber er würde wieder leben, er würde wieder lernen, zu atmen und zu leben, und mit der Arbeit, mit der würde er Schluss machen, in

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