Mach mal Feuer, Kleine - Roman
einfach gegangen, um nie wieder zu der nach Urin stinkenden Tür mit den Nagellöchern zurückzukehren.
Während sich die Erwachsenen von einem trüben Morgen in den nächsten hinein tranken, machte sich der kleine Andrejko |56| auf zur Arbeit. Am besten klappte es in der proppevollen Straßenbahn oder im Bus, gut ging es aber auch in einer Schlange und im Gedränge vor einem Geschäft. Weil er so klein war, nahm ihn keiner wahr, und dabei war er überall zugleich, er ersann immer neue Tricks, und bei der Polizei dachte man schon, dass im Revier mehrere Cliquen von Taschendieben ihr Unwesen trieben. Das Geld behielt Štefan, die Papiere und Schlüssel holten nachts sonderbare Individuen ab, über die man zu Hause nicht mal im Flüsterton reden durfte.
Bald erfuhr auch Andrejko am eigenen Leibe, wie schmerzhaft Ruhm sein konnte. Bereits seit einigen Tagen spürte er fremde Augen im Rücken, aber er wusste nicht, aus welcher Richtung er den Schlag erwarten sollte. Unvermittelt vertraten ihm zwei ältere Jungs den Weg, diese Straße gehöre ihnen, er solle sich schleunigst verkrümeln, sonst würde es ihm schlecht ergehen, sagten sie, und damit er merkte, dass es ihnen ernst war, gaben sie ihm gleich noch ein paar Schläge in den Bauch.
Als sich Andrejko vom Gehsteig erhob, war niemand mehr zu sehen. Schmerzgekrümmt schleppte er sich nach Hause und sagte gleich in der Tür, er höre auf zu arbeiten, aber Štefan lachte ihn nur aus, es wäre doch eine Schande, auf so geschickte Finger zu verzichten, und er befahl Marián und Imro, auf Andrejko aufzupassen. Den beiden gelang es bald, die anderen kleinen Diebe zu verscheuchen, Andrejko schlossen sich weitere Kinder an, und Štefan rieb sich die Hände, wie gut er das gedeichselt hatte. Warum soll Zigeuner schuften, Zigeuner muss vorausschauen, brüstete er sich, als er auf dem Tisch die zerknitterten Geldscheine glättete, gut hat der Junge gelernt, sehr gut gelernt …
***
|57| Während in den lädierten Nachtzügen mit ihren zerschnittenen Sitzen, Glasscherben und angetrockneten Blutflecken auf dem Fußboden immer mehr Verwandte aus dem Osten nach Prag fuhren, bauten in Poljana die Dörfler wie in jedem Jahr ihren Kohl und ihre Kartoffeln an, trieben die Schafe zu den Bergwiesen hinauf, zogen jeden Sonntag schwarze Kleidung an und dankten dem barmherzigen Herrn für dieses Geschenk. Eimerweise kippten sie Schnaps hinunter, auch ein paar Lämmchen mussten dran glauben, weil die Zigeunersiedlung verwaist war.
Das war schon einmal so gewesen in diesem Jahrhundert. Damals hatte man die Dunkas aus Poljana ausgesiedelt. Während des Krieges. Nachts waren Soldaten gekommen, hatten die Zigeuner aus ihren Hütten getrieben und sie auf Ladepritschen gedrängt, aber die Dunkas wehrten sich, sie sprachen die fremde Sprache nicht, sie verstanden nicht, wohin sie mussten und warum, sie kapierten nicht, warum die Männer Gewehre und Hunde dabeihatten, wenn doch sie, die Dunkas, sich keines Diebstahls schuldig gemacht hatten, und als die ersten Schüsse fielen, rannten sie in den Wald. Noch tagelang mussten die Soldaten nach ihnen suchen, sie wie Hasen jagen. Im Gehölz stöberten sie nach den zitternden Zigeunern, zerrten sie aus den Heuschobern, schlugen sie zusammen, befahlen ihnen, die Hände über den Kopf zu heben, und trieben sie auf die Landstraße. Zuerst fuhren sie mit ihnen nur in der Gegend herum und suchten nach einer Schlucht, in der man sie hätte erschießen können, aber dann brachten sie sie in ein Sammellager am Ufer der Theiß. Dort, in den überfüllten und kalten Baracken inmitten von Sumpfwiesen und Mückenschwärmen, haben die Dunkas erfahren, wie ein echter Winter aussah und was es hieß, wirklich Hunger zu haben, dort haben sie Wanzen, Typhus und tödliche |58| Erschöpfung kennengelernt. Jeden Morgen trieb man sie noch vor der Dämmerung aus dem Lager, den ganzen Tag lang mussten sie Steine klopfen und Bahnschwellen stopfen, für die malträtierte Wehrmacht auf ihrem Rückzug aus Russland und der Ukraine. Ob alt oder jung, gesund oder krank, jeder musste arbeiten, auch die Frauen und kleinen Kinder, denn nur derjenige, der gearbeitet hatte, bekam abends etwas von der dünnen Suppe aus Brennnesseln, faulen Kartoffeln und aus Futterrüben, die man vor dem Krieg nur dem Vieh gegeben hatte.
Ihre Gabe zu singen, zu jauchzen oder vor Heimweh zu weinen, ging im Lager verloren, auf den Pritschen aus ungehobeltem Holz hörten sie auf, sich zu freuen, zu
Weitere Kostenlose Bücher