Mach mal Feuer, Kleine - Roman
lieben oder zu hassen, ihre Augen büßten allmählich den Glanz ein. Eines Tages, als die Männer die unendlich weite ungarische Puszta rings um sich herum sahen, dieses Land, flach wie eine Tischplatte, mit vereinzelten Bauernhöfen und den langen Balken an den Ziehbrunnen, da warfen sie die Krampen und Schaufeln weg und nahmen die Beine in die Hand, und als man Hunde auf sie hetzte, sprangen sie in die über die Ufer getretene Theiß. Dort wurden sie von den Soldaten wie Kaninchen abgeknallt. Und die übrig Gebliebenen, die nicht einmal unter einem Zaun hindurchzukriechen vermochten, die gingen vor lauter Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung ein, manche erhoben sich noch morgens von ihrer Pritsche und wankten zur Arbeit, nur um ein paar Stunden später in die Kalkgrube geschleppt zu werden.
Am schlimmsten war es, als sich diese Grube auch mit Kindern füllte …
Erst nach dem Krieg erfuhren die Dunkas, was für ein Glück sie in ihrem Unglück hatten, wohin all die Züge gefahren waren, denen sie beim Schotterstopfen ausweichen mussten, |59| diese Viehwaggons, an dessen kleine Fenster sich bleiche Gesichter drängten, erst dann hörten sie die wohlklingenden polnischen Namen Treblinka, Chełmno und Oświęcim …
Die Menschen in den Viehwaggons waren ungarische Zigeuner … und Juden.
Noch vor dem Krieg hatten die Dunkas in den Schtetl und den abgelegenen chassidischen Dörfern in Galizien oder in der Karpato-Ukraine mit Pferden gehandelt. Mit den Juden Geschäfte zu machen war nicht leicht, die Dunkas schlugen sich auf die Brust und zückten ihre Rasiermesser, man würde sich lieber umbringen, als diese wunderschönen, herrlichen Stuten und Hengste für einen derart miserablen Preis zu verkaufen, und die Mordechajs und Abeles zupften an ihren Schläfenlocken, drucksten herum und klagten ihr Leid, auf einmal aber hatte sich alles gedreht, das Innere wurde nach außen gekehrt, die niedrigen Holzhäuser standen in Flammen, als wären sie aus Papier, verkohlte Talmudseiten und Talmudrollen flogen in den Himmel wie Asche aus dem Schornstein, und die wehrlosen Opfer wurden von den blutigen Krallen des Reichsadlers in Stücke gerissen … Nur wenige Chassidim konnten sich retten, denen, deren Fluchtweg über Poljana führte, standen Schrecken und Panik in die Augen geschrieben, keiner wollte berichten, was irgendwo weit weg in Łódź oder Lviv vor sich ging, sie sprachen nicht mehr vom Gelobten Land oder von der goldenen Stadt Jerusalem … auf Knien flehten sie die Dörfler an, rissen sich die Ohrringe aus den Ohren und schlugen sich gegenseitig die Goldzähne heraus, nur damit jemand sie über die Berge außer Landes schmuggelte.
Auch Hanele, die Witwe des Krämers und Wirtshauspächters von Poljana, wurde von der unerbittlichen Maschinerie zermalmt. Ihr Mann hatte den Dörflern
horilka
, den scharfen |60| Selbstgebrannten, verkauft, mit
rusliky
, kleinen, in Essig und Zwiebeln eingelegten Fischen, dabei krempelte er die Ärmel seines Kaftans hoch, griff ins Glas und fischte nach einem
ruslik
. Wenn er dann das Glas wieder schloss, sorgfältig seine Finger abtrocknete und vorsichtig, um ja nicht über den Strich zu füllen, den
horilka
einschenkte, wirkte es wie eine Zeremonie, als würde man beim Gottesdienst das Abendmahl aus den Händen eines alten Juden empfangen. Weder er noch seine Frau hatten diesen Krieg gewollt, sie waren ja mit wenig zufrieden, ihnen hätte es gereicht, bis zum Ende aller Tage
horilka
auszuschenken und
rusliky
aus dem Glas zu fischen, genauso wie sich die Dunkas auch nichts anderes wünschten, als für immer die Pferde über die Hochebene zu treiben und abends zusammen mit ihrer Geige zu weinen oder unter den Sternen zu jauchzen, und auch die Poljaner wollten nur bis in alle Ewigkeit ihre Felder bestellen, pflügen und säen. Niemand in Poljana hatte diesen Krieg gewollt.
Eines Nachts aber wurden bei Hanele die Fenster eingeschlagen, und an die Tür der schwarzen Schenke malte einer mit Kalk einen sechszackigen Stern. Der alte Gazda Jankura, dieser sture, dickköpfige Bauer, der für einen Juden noch am Vortag kein gutes Wort eingelegt hätte, stellte am Sonntag für jedermann gut sichtbar einen Eimer mit Scheuerbürste neben seine Kirchenbank, und Männer im Sonntagsstaat gingen nach dem Gottesdienst zu Hanele und schrubbten das beschmierte Tor sauber … Aber die alte Frau zog ihre Vorhänge zu und ging nicht mehr aus dem Haus, nur einmal in der Woche spannte sie
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