Mach mal Feuer, Kleine - Roman
Einstichstelle und sah sich um. Vier Betten standen hier, doch außer ihm und dem kleinen Mädchen gleich neben dem Fenster war sonst niemand da. Eine Seite des Raumes war verglast, hinter der Scheibe befand sich ein Schreibtisch mit riesigen Papierstapeln und einer Schreibmaschine, drumherum standen merkwürdige blinkende Geräte und ganz hinten ein Arzneimittelschrank mit bunten Medikamentenschachteln. Andrejko wusste immer noch nicht, wie er hierhergeraten war: Gerade eben war er doch noch in der Schule gewesen und hatte an der Tafel gestanden! Er rutschte vom Bett herunter, seine |159| Beine waren wie aus Watte, er taumelte. In der Tür stieß er mit der Krankenschwester zusammen, hinter ihr stand eine Ärztin im weißen Kittel, und die beiden schickten ihn zurück ins Bett. Dann musste Andrejko die Zunge herausstrecken, tief atmen, die Luft anhalten, weiteratmen. Die Ärztin stellte ihm Fragen, notierte zwischendurch etwas, und schließlich sagte sie: Keine Angst, alles wird gut, du bleibst aber für ein paar Tage hier … und zuerst nimmst du ein Bad und isst etwas, du bist ja nur noch ein Strich in der Landschaft …
Als Andrejko frisch gewaschen wieder im Bett lag, wanderten seine Gedanken zu den anderen Kindern und zu Ida, und seine Tränen, die er nicht rechtzeitig abgewischt hatte, sickerten in das weiße Kopfkissen.
Beim Aufwachen sah er seinen Schulranzen neben dem Bett stehen, den hätten seine Geschwister gebracht, sagte die Schwester, sie wollten sich von ihm verabschieden, weil sie ins Heim mussten. Andrejko ballte unter der Bettdecke die Hände zu Fäusten. Es nagte an ihm, dass seinetwegen alles herausgekommen war, sein Schwächeanfall war ihm peinlich, er schämte sich für sich und für Ida, und dann fiel ihm plötzlich die Anstalt in Kostelec ein, und er bekam Angst um Milan, Anetka und Tibor. Andrejko bohrte den Kopf in das Kopfkissen, sein Herz schlug wie wild … und auf einmal wusste er, was er zu tun hatte. Er sah sich im Flur um, ob auch keiner kam, dann öffnete er das Fenster und so, wie er war, im gestreiften Pyjama und mit Pantoffeln, rutschte er den Blitzableiter hinunter.
Die Straßenbahn, die vor dem Krankenhaus hielt, erreichte er gerade noch. Und schon bald klopfte er in der Schule beim Herrn Direktor an, weil er der Einzige war, der ihm helfen konnte … Der Direktor legte Andrejko seinen Mantel um |160| die Schultern und setzte Teewasser auf, dann erzählte er ihm, wie aus jenen Zigeunerkindern, die damals im Böhmerwald von ihren Eltern getrennt aufwuchsen, anständige Leute geworden seien, und dass es nichts bringe, wenn man Unsinn macht … Er sprach langsam, jedes Wort wog er sorgfältig ab, und er eröffnete Andrejko, dass man Ida zu einer Kur geschickt habe, die womöglich sehr lange dauern werde, und dass die Kinder im Heim gut versorgt würden, er habe dort eine Zeit lang unterrichtet und sei der Meinung, dass man sich dort gut um die Kinder kümmere.
Andrejko wollte aber nicht, dass sich andere um ihn kümmerten. Er hatte Angst um seine Geschwister, er konnte sich noch zu gut daran erinnern, wie er in Kostelec geschlagen worden war und keine Hilfe bekommen hatte. Vor seinem inneren Auge sah er Anetka und den kleinen Tibor durch das vergitterte Fenster in den Garten starren, mit ihren Patschehändchen den Staub auf der Scheibe verschmieren und auf ein Wunder warten, darauf, dass sie aus diesem schwarzen und grausigen Loch befreit werden … Als er den Direktor am Telefon sagen hörte, der Junge sei wohlauf, verzog er enttäuscht das Gesicht und ballte trotzig die Hände zu Fäusten. Dann rief der alte Herr noch irgendwo anders an, man möge sich keine Sorgen machen, es werde alles wieder gut. Mit dem Auto brachte er Andrejko ins Krankenhaus zurück, dort zog der Kleine seinen Schlafanzug aus und bekam seine alte Kleidung ausgehändigt. Schweigend fuhren sie aus der Stadt hinaus, an den Schornsteinen der Škoda-Werke vorbei, und schon bald lag Pilsen weit hinter ihnen. Als sie von der Landstraße abbogen und durch ein rostiges Tor fuhren, über dem
Kinderheim
stand, kauerte sich Andrejko zusammen. Hier waren zwar weder Gitter noch Maschendraht vor den Fenstern wie in Kostelec, aber das Wort Kinderheim, das ihn von der |161| Blechtafel über der Einfahrt anschrie, war wie ein Schimpfwort, wie ein Fluch, es war kein Hirngespinst oder ein böser, schwarzer Albtraum, das hier war echt …
Anetka und Tibor warteten schon auf ihn. Und da der
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