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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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Direktor ein gutes Wort für sie eingelegt hatte, durften sie zusammenbleiben. Ihre Betten standen nebeneinander, jeder bekam einen eigenen Tisch und einen eigenen Schrank, sie hatten saubere Kleidung, und jeden Tag gab es warmes Essen. Je länger sie da waren, desto weniger bedrohlich klang das Wort Kinderheim in ihren Ohren. Nur mit der Sprache war es ein Kreuz, Romani durften sie nicht einmal untereinander benutzen, das wurde mit Fernseh- und Ausgangsverbot bestraft.
    In der Schule, die sie jetzt besuchten, tauchte nach den Ferien der Direktor ihrer alten Schule auf, hier stand er als gewöhnlicher Lehrer vor der Tafel und schien sehr müde zu sein, als wäre er in den paar Monaten um Jahre gealtert. Als Andrejko ein paar Tage später in der Kantine auf die Essensausgabe wartete, hörte er hinter der Durchreiche die Köchinnen über den Direktor herziehen, das sei doch nicht normal, wenn man sich in seinem Alter hierherversetzen lasse, noch dazu als normaler Pauker, wer weiß, was dahinterstecke, man müsse sich vor ihm in Acht nehmen   …
    Einmal rannten die kleinen Dunkas zum Mittagessen und riefen sich etwas auf Romani zu, ohne daran zu denken, dass es verboten war. Sie rempelten dabei den alten Herrn an, blieben einen Moment erschrocken stehen und liefen dann schnell weg. Am nächsten Tag erwarteten sie mit gesenkten Köpfen ihre Strafe, aber der alte Herr sagte nichts.
    Keiner wusste, warum er die Kinder nicht zurechtwies, warum er nur selten laut wurde und warum er am Fenster im |162| Lehrerzimmer eine Zigarette nach der anderen rauchte   … Der glotzt ins Leere, lachten hinter seinem Rücken die Lehrerinnen über ihn, aber er blickte durch ihre niedlichen Puppengesichter hindurch, und hinter all den Wandzeitungen, Berichten und Bücherregalen sah er sich selbst, einen jungen Lehrer mit glatt rasierten Wangen und dichtem, hochgekämmtem Haar, so wie es damals bei der Parteijugend üblich war, er sah sich Zigeunerfamilien besuchen, die mit Lastwagen aus Spiš oder Zemplín herbeigekarrt worden waren, und den verzweifelten Müttern ihre Kinder nehmen. Er sah sich, wie er auf die Ärmsten, die nicht einmal Tschechisch verstanden, wütend einredete: Wir, unsere Gesellschaft, wir werden für Ihren Sohn Sorge tragen, wir machen aus ihm einen neuen Menschen, der keinen Hunger und keine Not kennt, wir statten ihn mit Seife, Schuhen und sauberen Kleidern aus und bringen ihm nicht nur das Lesen und Schreiben bei, sondern auch, wie man das Pionierhalstuch richtig knotet   …
    In den Polizeiautos hockten die kleinen Zigeunerkinder auf dem Rücksitz, trommelten gegen die Heckscheibe und heulten, während andere Autos ihre Eltern ans andere Ende der Republik brachten. Den nomadenhaft umherziehenden Clans der Olaši lauerte man bei nächtlichen Razzien auf, man zersägte die Räder ihrer Karren und Planwagen, und die Pferde wurden von der Polizei beschlagnahmt oder gleich an Ort und Stelle erschossen. Man nahm ihre Fingerabdrücke und versah ihre Personalausweise mit einem Stempel: Als Zigeuner registriert. Zu jener Nummer, die manch einer auf dem Vorderarm eintätowiert trug, kam nun ein neues Brandzeichen hinzu   …
    Das war der Moment, in dem uns die Sache über den Kopf wuchs, seufzte der alte Herr verbittert, wir haben alles allzu schnell kaputt gemacht. Die Sippenältesten, die Vajdas, |163| die haben wir in den Schacht oder direkt in den Knast geschickt, die Männer mussten ins Stahlwerk, die Greise ins Altersheim, und die Kinder kamen in die Besserungsanstalt. Wir haben jede Bindung zerstört. Aber was haben wir ihnen anstelle ihrer Kinder, Karren und Pferde angeboten? Geld, nur Geld   … Sie brauchten eine Schlafstätte? Sie mussten nur Bescheid sagen, und schon bekamen sie ein Haus, ein von den Deutschen verlassenes Gut. Ihnen war kalt? Am nächsten Tag brachte man ihnen eine Fuhre Holz mit dem Traktor. Sie wollten eine neue Wohnung? Sie bekamen den Schlüssel ausgehändigt. Und wenn sie ihre Bleibe verwohnt hatten, brauchten sie es nur zu melden, und am nächsten Tag stand eine neue einzugsbereit   … Sie würden so gerne arbeiten, aber alles tat weh? Sie brauchten nur zum Arzt zu gehen, und ihnen wurde eine Invalidenrente bewilligt. Und wenn sie das Kindergeld durch die Kehle gejagt hatten, brauchten sie bloß zu sagen: Unsere Kinder haben Hunger, gebt Geld!   … Wir haben ihnen alles und nichts gegeben. Sie haben schnell begriffen, dass es reicht, zu schreien und die Hand auszustrecken; sie waren

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