Mach mal Feuer, Kleine - Roman
verhielt es sich ebenso, auch sie handelten von einem ganz gewöhnlichen Leben, davon, wie einer Kartoffeln kaufen ging oder Heimweh hatte, davon, dass den Kindern kalt ist und sie Hunger haben …
Joj mamo, dado, me som tiro šukar čhavoro … e daj mange muľa, o dad romňa iľa
… Joj, Mama, Papa, ich bin euer lieber kleiner Junge … meine Mutter ist tot, der Vater nahm sich eine andere Frau … über so etwas würde ein Weißer nie singen wollen. Es waren ganz normale Lieder, wahrhaftig und wirklichkeitsnah, und jeder, der sie sang, meinte über sein eigenes Leben zu singen, und so fügte er ein Wort oder eine ganze Strophe hinzu oder veränderte den Text ganz, je nachdem, was ihm in dem Moment am meisten auf der Seele lag; er verschob den Rhythmus, veränderte die Akkorde oder wechselte in eine andere Tonart, so dass jedes Mal ein ganz neues Lied entstand. Der Sänger war auch felsenfest davon überzeugt, sich das Lied selbst ausgedacht zu haben. Schon deswegen schrieb man weder die Noten auf, noch stritt man sich darüber, ob die Akkorde stimmten, weil die Töne, die Betonung und die Worte jedes Mal die richtigen waren …
Ida sang, sie hätte im Traum vier Gänse gesehen,
somas me suneste, štare papiňenca
… aber es waren keine Gänse, sondern Kinder, ihre Kinder,
oda na papiňa, oda mire čhave
… und die Kinder hätten am Straßenrand gesessen und Sand gegessen, weil sie ganz allein auf der Welt und hungrig waren …
ola mire čhave, pro furmancos bešen, churďi poši jon chan, bo len ňiko nane
… Und die Tante fing an zu weinen, weil sie in dem |170| Moment fest davon überzeugt war, es so gesehen zu haben, und jeder, der sie das singen hörte, glaubte ihr die Gänse, den Sand und den Hunger aufs Wort.
***
Nach den Ferien kehrten die Kinder in ihre alte Schule zurück. Aber dort hatte sich inzwischen einiges verändert. Im Büro des Direktors saß nicht mehr der nachdenkliche, nette alte Herr, sondern eine energische junge Frau, vor der sich die Lehrerinnen fürchteten, und als diese ihnen mitteilte, dass sie nun die Gören von dieser Zigeunerhure aufgehalst bekommen hätten, da duckten sie sich und sahen zu Boden. Frau Direktor fuhr fort, sie wolle hier keine Problemschule haben, und sie brachte ihre Hoffnung zum Ausdruck, dem Lehrerkollegium werde es gelingen, die Kinder schnell loszuwerden … Als am Ende des Schuljahres jedoch keiner der Dunkas in die Sonderschule versetzt wurde oder zumindest sitzen geblieben war, schnellten Frau Direktors Augenbrauen vielsagend in die Höhe. Und als man ihr Andrejkos Zeugnis zur Unterschrift vorlegte, wurde ihre Laune noch schlechter, vor lauter Wut verschluckte sie sich sogar, und das kaffeebespritzte Zeugnis musste neu geschrieben werden.
Nur die kleine Anetka hatte Pech. Ihre Lehrerin wollte sich die Gunst der Frau Direktor erschleichen und ließ die Kleine nicht einen Moment in Ruhe, sie sorgte dafür, dass keiner in der Klasse nur für einen Moment vergessen konnte, woher Anetka kam, und dass ihr Vater – falls er überhaupt ihr richtiger Vater war, bei einer solchen Mutter – im Gefängnis saß. Heute kommt die Zigeunerin wieder, sagte sie den Kindern gleich am ersten Schultag, als sich Anetka und ihre Mama vor dem Direktorenzimmer die Beine in |171| den Bauch standen, bis die Genossin Direktorin Zeit fand, sie zu empfangen. Wer weiß, wem wir die Läuseplage zu verdanken haben, verkündete sie eine Woche später und rümpfte die Nase, während sie unverwandt Anetkas pechschwarzen Haarschopf anstarrte. Anetka wäre am liebsten im Boden versunken, so aber kauerte sie sich nur in der Bank zusammen, damit keiner sie bemerkte, damit keiner ihre Tränen sah. In der Pause setzten ihr auch noch die Kinder zu, ähnlich wie ihre Lehrerin wollten sie das eigene Selbstbewusstsein aufpolieren, sie prahlten mit ihrer hellen Haut und schrien, selbst wenn sie ein halbes Jahr auf das Waschen verzichten würden, blieben ihre Wangen trotzdem hundertmal heller als die der kleinen Zigeunerin, selbst wenn Anetka in Kalk baden würde, bliebe sie für immer schwarz! Und sie brüsteten sich auch damit, tausendmal mehr zu wissen als Anetka mit ihrem gebrochenen Tschechisch, sie freuten sich, ein Opfer zu haben, das sie auslachen, dem sie den Schulranzen auf den Gehsteig auskippen, dem sie die Mütze vom Kopf reißen und sie durch die Gegend treten konnten, sie fanden es witzig, Anetka an den Haaren zu ziehen und dann schnell wegzurennen, bevor
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