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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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ihre Flöhe rüberhüpften   … In Anetkas Klasse gab es keine dicken oder dünnen Kinder, keine schlechter oder besser angezogenen Schüler, keine Brillenschlangen oder Segelohrenmonster wie in den anderen Klassen. In der 3A gab es nur die klugen und vollkommenen Weißen, und die dunkle und einsame Anetka   …
    Nächtelang schluchzte Anetka ins Kopfkissen und wollte nie wieder zur Schule gehen. Als Andrejko davon erfuhr, passte er eines Tages die Drittklässler ab. Das gab ein hübsches Handgemenge, es war eine ganze Horde Scherzkekse, die Anetka an den Fersen klebte, aber Andrejko war ein paar Jahre älter und stärker und gewann schließlich die Oberhand. |172| Gleich am nächsten Tag wurde er ins Direktorenzimmer bestellt, vor jenen Schreibtisch, hinter dem früher der alte Herr gesessen hatte, und musste sich von der überschlagenden Stimme der Genossin Direktorin eine Standpauke halten lassen: Du bist hier nicht mehr in diesem Dreckskaff, dort, am Arsch der Welt   … Sie meint Poljana, schoss es Andrejko durch den Kopf, aber dort hatte er sich nie gerauft, der alte Herr Bielčik und die anderen, Paľo Jasenčák und seine Frau Marika, Demčak mit seiner Geige, alle waren sie nett zu ihm gewesen   … Wenn du so weitermachst, landest du wieder im Heim, drohte sie und wedelte mit der Akte aus Kostelec   … Aber dort hatte er sich gar nicht geprügelt, er hatte ja gar keine Gelegenheit dazu   … Andrejko presste die Zähne zusammen, und die Direktorin rühmte sich noch tagelang, wie sie es dem kleinen Ganoven gezeigt hatte. Sie verwarnte Andrejko, und als sie auf seinem Zeugnis die Drei im Benehmen unterschrieb, die er wegen eines ausgeschlagenen Zahns, einiger blauer Flecken und zerrissener Ärmel bekam, konnte sie ein selbstzufriedenes Lächeln nicht unterdrücken.
    Seit diesem Vorfall begleitete Andrejko sein kleines Schwesterchen jeden Tag nach Hause, und bald ließ man Anetka in Ruhe, die kleinen Quälgeister suchten sich lieber ein anderes Opfer. Anetka aber hing weiterhin wie eine Klette an ihm. Wenn ich groß bin, heirate ich dich, sagte sie, doch er lachte nur. So klein, kaum raus aus den Windeln, und die sollte er heiraten?
    Die Direktorin rief immer wieder beim Amt an, und die Sozialarbeiter gaben sich die Klinke in die Hand. Die Tante knirschte zwar mit den Zähnen, aber sie wollte die Damen vom Amt nicht vergraulen, damit ihr die Kinder nicht genommen wurden und sie wieder zur Arbeit musste. Wie sollen diese Hände arbeiten?, fragte sie und drehte die Handflächen |173| nach oben: Sie würden es liebend gerne tun, aber die gnädige Frau sehen selbst, es geht gar nicht   … Und das war ihr Ernst, ihre Hände taten ihr wirklich leid, sie hätten so gerne gearbeitet, konnten es aber nicht   …
    Eines Tages tauchte in der Wohnung ein gebrauchter Schwarz-Weiß-Fernseher auf, es dauerte eine Weile, bis sich seine Röhren erwärmt hatten, aber dann konnte man ihn stundenlang benutzen. Die kleinen Dunkas gewöhnten sich an, ihre Zeit vor dem Fernseher zu verbringen. Wenn sie von der Schule nach Hause kamen, schalteten sie ihn gleich an und hockten bis in den späten Abend hinein davor, nachts konnten sie nicht einschlafen, und am nächsten Tag brannten ihnen in der Schule die Augen.
    Der Fernseher brachte eine große Veränderung in ihr Leben. Immer mehr tschechische Wörter fanden den Weg auf ihre Zungen, und ihre Muttersprache stahl sich durch die Hintertür hinaus. Mit dem Tschechischen kamen sie in der Schule schneller voran, auch beim Einkaufen ging es besser, Tschechisch zu sprechen lohnte sich und war daher richtig. Nur zu den Liedern passte es nicht, und wenn einer singen wollte, tat er das auf Romani, wie früher.
     
    Trotz aller Widrigkeiten gelang es Andrejko, die acht Klassen der Mittelschule hinter sich zu bringen. Seine Freude über das Abschlusszeugnis hielt sich allerdings in Grenzen, denn die Direktorin hatte ihn in ihrer Beurteilung nicht für die weitere Schullaufbahn empfohlen, ja nicht einmal für eine Lehre: Dann könnte ja jeder Zigo auf Kosten der Arbeiterklasse studieren, rümpfte sie zu Hause die Nase. Außerdem ist er nicht mal Pionier gewesen, sagte sie am nächsten Tag, als Andrejkos Klassenlehrerin ein gutes Wort für ihn einlegen wollte, er erfüllt die Voraussetzungen nicht.
    |174| Die Pionierorganisation   … Einmal wurde Andrejko aufgefordert, bei einer Versammlung Geige zu spielen, aber er war zu spät gekommen. Andrejko blieb in der Tür zur Turnhalle

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