Mach sie fertig
Mahmud versuchte ihn anzurufen. Er ging nicht ran. Setzte ’ne SMS mit ’nem Standardwitz ab: »Erinnerst du dich noch, als wir Zug fuhren und ich den Kopf raushielt und du den Arsch? Alle dachten, wir wären Zwillinge. Ruf mich an!«
Genervt. Weniger von Babak, der Kumpel war immer spät dran, sondern angesichts der gesamten Situation. Irgendwie schien alles über ihm zusammenzukrachen. Weniger als fünf Tage noch. Mahmud hatte bisher nicht mehr als Fünfzehntausend an Cash zusammengekratzt. Das reichte nicht mal für ein Fünftel von dem, was Gürhan haben wollte. Was zum Teufel sollte er machen? Ein und derselbe Gedanke wiederholte sich wie ein gesampelter Loop in seinem Kopf: Die Jugos sind meine einzige Chance.
Er betrachtete den Stromkasten näher, gegen den er sich gelehnt hatte. Vollgekritzelt: Ernesto Guerra-Aufkleber, ein Graffiti mit ’nem Giant-Face, Werbeaufkleber von vierzigtausend verschiedenen Plattenläden. Er dachte: Die Schweden haben so viel Scheiße im Kopf. Es war ihre Art von Luxus – sie konnten sich ’ne Menge unnötiger, abstruser, unmännlicher Zeitvertreibe leisten: Reclaim-the-streets-Krawalle, mit denen sie dafür demonstrierten, dass die Läden der Kleinunternehmer plattgemacht werden, verwegene Gothicpartys in Gamla stan, bei denen alle wie Leichen aussahen, oder sie hockten den ganzen Tag im Café, wo sie fürs Studium lernten. Aber die Svenssons wussten nicht, wie es sich anfühlte, wenn du beim Sozialamt übersetzen musstest, damit deine Eltern erklären konnten, dass sie sich Winterjacken nicht leisten konnten. Wie es war, in einem Millionenghetto ohne Zukunft aufzuwachsen. Mit ansehen zu müssen, wie die Würde deines Vaters jedes Mal mit Füßen getreten wurde, wenn die Leute von den Behörden ihm misstrauten – einem hochgeachteten Mann, dort wo er herkam, der durch den schwedischen Dreck gezogen wurde wie ’ne Hure in seinem Heimatland über den Marktplatz. Hinterfragten, warum er keinen besseren Job fand, obwohl er ausgebildeter Ingenieur war, warum er nicht besser Schwedisch sprach – legten ihm Formulare vor, die er nicht ausfüllen konnte, weil er nicht mal das schwedische Alphabet lesen konnte. Fickt eure Mütter.
Mahmud liebte seinen Vater und seine Schwestern. Er hielt große Stücke auf seine Kumpels Babak, Robert, Javier und die anderen. Der Rest konnte ihm gestohlen bleiben.
Er würde sie alle in die Tasche stecken. Die Born-to-be-hated-Leute. Die abgefuckten Svenssons. Die Stockholmkids. Ernesto-Guerra-Idioten. Zurückkommen. Ihnen zeigen, wer das Sagen hatte. Kohle einsacken. Der Asy aus dem Millionenghetto würde King werden. Sie sich vorknöpfen. Sie plattmachen. Wenn nur die Jugos ihn unterstützten.
Vier Stunden zuvor hatte er Stefanovic angerufen und ihm zugesagt – er hatte vor, Wisam Jibril für sie ausfindig zu machen. Mahmud Bernadotte – wenn das erledigt wäre, würde Gürhan zu spüren bekommen, wie sich ein zerquetschter Sack anfühlte.
Mahmud musste an den Auftrag denken. Wenn man bei den Jugos jemand war, war man überall jemand. Wenn es ihm gelänge, den Libanesen aufzutreiben, Radovans Willen zu erfüllen, würde sein Name lauten: Mahmud the Man. Nicht wie heute: Mahmud the Typ-der-nach-oben-will-es-aber-noch-nicht-geschafft-hat.
Direkt nach dem Gespräch mit Stefanovic rief Mahmud Tom Lehtimäki an – ein Kumpel von früher. Tom befasste sich mit irgendwas im Bereich Finanzen. Arbeitete für ’n Inkassobüro. Ein genialer Kontakt, denn Tom ließ sofort seine Connections spielen. Zwei Stunden nach dem Gespräch rief er beim Gericht an und bat darum, alle Unterlagen in dem Raubfall von Arlanda rüberzufaxen. Sie weigerten sich, so viele Papiere per Fax zu senden. Schickten das Zeug stattdessen mit der Post. Offensichtlich war das Verfahren eingestellt worden – die Staatsanwaltschaft hatte es inzwischen aufgegeben, die Bankräuber überführen zu können. Doch es gab immer noch Auseinandersetzungen zwischen der Bank und dem Transportunternehmen. Mahmud konnte es selbst kaum glauben – das Gericht erwies ihm einen Bärendienst. Manchmal liebte er das Schwedenland.
Er erwachte aus seinen Gedanken. Guckte auf die Uhr seines Handys. Warum kam Babak nicht raus?
Sie wollten heute Abend ausgehen. Die Stadt unsicher machen. Auf Jagd gehen – Bräute aufreißen. Wham-bam. Er summte auf Arabisch vor sich hin: Ana bedi kess. Ich liebe Mösen.
Er hatte keine Lust, noch länger zu warten, ging die halbe Treppe hoch und in den
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