Machen Sie Ihren Kopf fit für die Zukunft
werden. Man nennt diesen
Vorgang Myelinisierung. Er beginnt bei den Nervenbahnen der Körpersteuerung (Kindheit), festigt dann emotionale Reaktionen
(ausgereift nach der Pubertät) und erfasst als letzte die Regionen des Stirnhirns, in denen vorausschauendes Denken, Abwägen
und Planen sowie die Kontrolle der Aufmerksamkeit, des Fühlens und Handelns organisiert werden. Diese Konsolidierung findet
mindestens bis zum Alter von 60 Jahren statt und betrifft insbesondere Bereiche, wo geistige und emotionale Zentren zusammenarbeiten.
Dadurch nimmt die Ausgewogenheit zwischen Denken und Fühlen mit dem Alter zu, und das Urteil über die Dinge der Welt wird
immer sicherer und reifer – man wird abgeklärter.
Schwesterzellen helfen bei starker Beanspruchung
Dieser Mechanismus wurde als erster entdeckt und als Rekrutierung von Nachbarzellen bezeichnet. Bei besonders intensiv trainierten |174| Funktionen, zum Beispiel der Bewegungssteuerung der Finger bei Geigern, sind diejenigen Zellareale, die diese Aufgabe ausführen,
wesentlich größer als bei Nicht-Fachleuten. Dieselbe »Hilfsbereitschaft« durch Anpassung an andere Aufgaben beobachtet man
auch nach Verletzungen besonders in der bewegungssteuernden Region, zum Beispiel nach einem Schlaganfall. Bei entsprechender
Übung können nach und nach benachbarte Zellen so umtrainiert werden, dass sie die verloren gegangene Funktion zumindest teilweise
übernehmen können. Diese Vergrößerung eines Areals ist auch in der Region beobachtet worden, die räumlich-visuelle Informationen
verarbeitet. Sie ist bei Londoner Taxifahrern wesentlich größer als bei »normalen« Einwohnern. Sie benutzen sie tagtäglich
sehr intensiv und haben daher wie bei einem gut trainierten Muskel mehr Zellen für die Orientierung in der Stadt zur Verfügung.
Ruhende Reservezellen wachsen nach
Die sensationelle Entdeckung vor circa zehn Jahren erklärt, warum man auch im Alter geistig rege und damit flexibel sein kann.
Man war immer davon ausgegangen, dass wir ein ganzes Leben lang mit der Anzahl an Nervenzellen auskommen müssen, die wir bei
unserer Geburt besitzen. Man glaubte, was einmal zerstört wurde, zum Beispiel durch Verletzungen, Erkrankungen oder Vergiftungen
(zum Beispiel durch Alkohol!), würde für immer fehlen. Eigentlich hätten unsere Gehirne demnach im Alter recht geschrumpft
erscheinen müssen. Immerhin verlieren wir schon durch normalen Verschleiß pro Tag circa 6 000 Zellen. Doch der Zellschwund
hält sich glücklicherweise in Grenzen. Heute wissen wir warum: Das Gehirn besitzt einen Vorrat an entwicklungsfähigen neuronalen
Stammzellen. Sie liegen zum Beispiel im Gedächtnisportal des Hippocampus und helfen hier, von den Sinnesorganen aufgenommene
Informationen zur weiteren Verarbeitung aktiv zu halten. Aber die Stammzellen müssen durch Botenstoffe und Wachstumsfaktoren
dazu stimuliert werden. Es sieht derzeit |175| so aus, als ob intensives Training des Kurzzeitgedächtnisses, körperliche Bewegung und positive Emotionen diese Stoffe und
damit den Zellnachwuchs hervorlocken. Anders lässt sich nicht erklären, wie optimistische, geistig und körperlich aktive Menschen
bis ins hohe Alter hinein über einen leistungsfähigen Verstand und ein gutes Gedächtnis verfügen. Was jedoch die Bildung der
Wachstumsfaktoren unterdrückt, weiß man bereits definitiv: Ein Zuviel des Stresshormons Cortisol und des Botenstoffes Glutamat,
der bei der Alzheimer-Erkrankung auch eine Rolle spielt, stoppen diese Zellen. Das Gedächtnis streikt nach einer Weile und
mit ihm auch alle geistigen Leistungen, die von ihm abhängen. Je mehr Zellen aber im Gedächtnisprozessor vorhanden sind, desto
besser funktioniert auch der nächste und wichtigste Mechanismus unserer Flexibilität, das Umlernen.
Exkurs
Neuronale Stammzellen als Seelendoktoren
Bei Depressionen ist sehr oft das Gedächtnis beeinträchtigt. Ursache sind unter
anderem hohe Spiegel des Stresshormons Cortisol im Gehirn. Medikamente
zur Behandlung der Depressionen erhöhen auch den Spiegel des Botenstoffes
Serotonin. Man vermutet nun, dass Serotonin in der Gedächtnisregion
das Nachwachsen funktionierender Zellen anregt und dadurch die Krankheitssymptome
gebessert werden. Die Zeitspanne vom Beginn der Einnahme
bis zum Eintritt der Wirkung dauert in der Regel circa zwei Wochen – die Zeit,
die die Zellen benötigen, um auszureifen.
Auch die elektrische Stimulation, bei schweren
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