Machen Sie Ihren Kopf fit für die Zukunft
aktuelle Veränderungen zu reagieren. Anpassung darf
jedoch immer nur wenige Eigenschaften betreffen, sonst destabilisiert sich der betreffende Organismus und ist nicht mehr lebensfähig.
Bewährte Genkonstellationen, darunter zum Beispiel diejenigen, die den Bauplan der Wirbeltiere bestimmen (Kopf vorne, Schwanz
hinten, vier Gliedmaßen, Rechts-links-Symmetrie, Rücken- und Bauchseite), werden gezielt durch besonderes Verpackungsmaterial
vor Veränderungen geschützt. Deshalb sehen Wirbeltiere (und wir) seit einer halben Ewigkeit im Prinzip immer sehr ähnlich
aus.
Genverändernde Signalstoffe, die zeitnahe Veränderungen ermöglichen, kommen in erster Linie aus dem Organismus selbst. Es
sind Stoffwechselprodukte anderer Zellen. Sie docken außen an bestimmten Rezeptoren an und setzen Informationskaskaden in
Gang, die auf das Erbgut einwirken. Genauso gut können es aber auch Substanzen aus der physischen Umwelt eines Organismus
sein. UV-Strahlen oder karzinogene Substanzen aus dem Tabakrauch sind dafür geläufige Beispiele. Sie können sich positiv oder
negativ – gesundheitserhaltend oder gesundheitsschädlich – auswirken, je nachdem, welche Erbinformationen durch sie aktiviert
oder blockiert werden. Seit 2003 weiß man sogar genau, wie sich negative stressauslösende oder positive stressdämpfende Emotionen
bis in die Genregulation hinein auswirken. Das Gehirn »übersetzt« emotionales Erleben in biochemische Substanzen, die im Körper
und im Gehirn die Umsetzung der Erbinformation und damit die Funktion der Organzellen beeinflussen.
Nicht alle Zellen des Körpers werden in gleichem Maße so gesteuert. Das Erbgut der Ei- und Samenzellen, das an die nächste
Generation weitergegeben wird, wird nur in Ausnahmefällen von äußeren Einflüssen verändert. Die aktuellen Anpassungen des
Organismus |172| sind also nur selten vererbbar. Besonders flexibel sind dagegen Gehirnzellen. Diese Flexibilität zeigt sich in der hervorragenden
Lernfähigkeit der Nervenzellen. Sie können, wie im Kapitel zur Lernfähigkeit beschrieben, Verbindungen untereinander verstärken
und lösen und auf diese Weise vielfältige neue Aktivitäten entwickeln. Das geht natürlich nur, wenn die jeweiligen Zellen
aus ihrem Erbgut heraus variabel gesteuert werden. Auf diese variablen Steuerungsmechanismen wird im kommenden Abschnitt genauer
eingegangen.
Wie Flexibilität im Gehirn organisiert ist
Flexibilität ist, wie alle anderen Zukunftsfähigkeiten auch, als Fähigkeit in unserem Gehirn angelegt. Dieses Prinzip haben
wir schon in der Einleitung in dem Teil über die Entwicklung des Gehirns beleuchtet: Bewährtes bleibt und es wird angepasst,
ausgebaut und damit den aktuellen Umständen besser gerecht. Für diese flexible Umgestaltbarkeit im Nervensystem gibt es in
unserem Gehirn verschiedene, zusammenwirkende Mechanismen. Sie werden als neuronale Plastizität bezeichnet. Die Mechanismen
sind:
Anpassung des Gehirns: Persönliches Wachstum und Reife.
Schwesterzellen helfen, wenn eine Funktion stark beansprucht wird (Rekrutierung).
Ruhende Stammzellen wachsen auch bei Erwachsenen nach und ersetzen verloren gegangene Nervenzellen (adulte Neurogenese).
Netzwerke von Nervenzellen lösen sich oder bilden sich neu (»Umlernen«).
Schauen wir uns nun diese vier Mechanismen noch ein wenig genauer an und wie sie uns im Alltag bei der Bewältigung unserer
Aufgaben helfen.
|173| Anpassung des Gehirns: Reife durch Flexibilität
In der seelischen Entwicklung des Menschen ist Anpassungsfähigkeit die Voraussetzung für persönliches Wachstum und Reife.
Fühlen, Verhalten und Denken werden im Wechselspiel mit den Einflüssen der Umgebung so geformt, dass der junge Mensch im Laufe
seines Lebens immer besser mit dem zurechtkommt, was er gerade vorfindet. Anpassung heißt nicht, dass Temperament, Charaktereigenschaften
und Begabungen verschwinden, sondern dass sie so eingesetzt werden, wie es das Umfeld erlaubt.
Das Gehirn ermöglicht diese Anpassung durch seine Fähigkeit, Zellen absterben zu lassen und synaptische Verbindungen zwischen
den Zellen zu lösen, wenn diese nicht mehr gebraucht werden. Das geschieht in großem Maße im jungen Gehirn bis zum Alter von
circa 18 Jahren. Parallel werden diejenigen Strukturen, die den »Reality-Test« bestanden haben, verstärkt. Hilfszellen versehen
sie mit einer isolierenden Fettschicht. Jetzt kann die Information schneller und si-cherer übertragen
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