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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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zum richtigen Zeitpunkt Fuchs und Löwe zu sein. Wer diese Gelegenheiten versäumt oder gar verwechselt, wird in der Zoohölle gebührend bestraft.
    Die wichtigste Lektion für den Dichter hat ihm seine Führerin für den Schluss aufgehoben:
Dann sah ich an einer tiefen Stelle,
als ich die Augen darauf richtete
ein fettes Schweinchen im Schlamme wühlen.
Ich werde nicht sagen, wem es ähnlich sah,
genügen muss, dass es dreihundert
Pfunde und mehr auf die Waage brachte.[ 45 ]
    Mit diesem Riesenferkel kommt der Zoowanderer ins Gespräch. Als erstes bietet er seinem rosigen Gegenüber an, sich bei seiner Geliebten für dessen Rückverwandlung zu verwenden. Doch diese Offerte wird rüde ausgeschlagen:
Ich weiß nicht, woher du kommst,
doch wenn du nur gekommen bist,
um mich von hier wegzubringen, geh nur deines Weges![ 46 ]
    Das Schwein will Schwein bleiben, weil es unter Schweinen humaner zugeht als unter Menschen. Von Eigenliebe verblendet, halten sich die Menschen für die Krone der Schöpfung. Doch darin täuschen sie sich, wie das eloquente Schwein in mehr als hundert Versen darlegt. Schweine sind klüger, vorsichtiger, anpassungsfähiger und vor allem von der Natur besser ausgerüstet. Daher leben sie glücklich und zufrieden, während die Menschen von ihrer unstillbaren Gier nach mehr Besitz, Macht und Genuss ins Unglück gestürzt werden. Auch was Tapferkeit, Mut, Herz und Seele betrifft, sind die Tiere den Menschen um Längen voraus. Dasselbe gilt für Mäßigung, Selbstkontrolle und Standhaftigkeit. Damit hat das Schwein die Kardinaltugenden, wie sie die Kirche lehrt, vollständig nachgewiesen. Als nächstes kommen die Hauptlaster an die Reihe: In Sachen Wollust halten die Schweine Maß, während sich die Menschen maßlos gebärden; auch Völlerei ist ein rein menschliches Laster, die Schweine begnügen sich mit einer einzigen Art Futter. Habgier und Neid sind im Tierreich vollends unbekannt – ganz abgesehen davon, dass sich die angeblich so grausamen Bestien nicht kreuzigen und ausplündern wie die Menschen.
    So lautet die Nutzanwendung in den Schlussversen:
Und wenn dir einer unter den Menschen göttlich scheint,
glücklich und heiter, so glaube es ihm nicht.
In diesem Schlamm lebt es sich fröhlicher,
wo ohne Sorgen ich mich bade und wälze.[ 47 ]
    Das Lob des Animalischen hatte Machiavelli in seinen Briefen vorweggenommen, als er Vettori dringend dazu riet, seinen amourösen Gelüsten nachzugeben. Darüber hinaus klingt im «Goldenen Esel» Ironie, aber auch ein trotziges Bekenntnis in eigener Sache an. Der Schlamm bedeckte Machiavellis Alltagskleidung, wenn er aus dem Wald und dem Wirtshaus nach Hause kam, so hatte er es Vettori in seinem Brief vom 10. Dezember 1513 geschildert. Danach legte er seine Staatsgewänder an, um mit den Alten Zwiesprache zu halten. Der Kontrast zwischen der Banalität des Alltags und der Erhabenheit der intellektuellen Tätigkeit war schon damals ironisch gebrochen: Was bringt mir meine Geisteskraft denn ein? Sie nützt überhaupt nichts, so lautet die Antwort im «Goldenen Esel». Es ist besser, sich im Schlamm zu suhlen, als sich vom Schlamm zu reinigen. Die Menschen sind undankbar, die Tiere nicht. Verstand schafft Leiden, weil er die Ungerechtigkeiten dieser Welt zur Kenntnis nimmt. Tiere leben glücklich, weil sie einfach den Regeln der Natur folgen und sich über nichts Sorgen machen müssen. Die Humanisten hatten den Menschen weit über alle anderen Lebewesen emporgehoben, manchmal sogar auf eine Stufe mit Gott. Ihnen wird hier eine sarkastische Abfuhr erteilt. So klingt die Moral der Fabel nach einer Absage an das eigene Denken und Schreiben. Die Abhandlungen über den Staat hatten sich als Therapie gegen den Weltekel nicht bewährt. Machiavelli musste es auf andere Weise versuchen.
    «Andria» und die Theorie der Komödie
    Etwa zur selben Zeit wie den «Goldenen Esel» verfasste Machiavelli einen kurzen Discorso o dialogo intorno alla nostra lingua. Eine «Abhandlung oder ein Dialog über unsere Sprache» aus der Feder eines Florentiners konnte nur auf ein Lob des Toskanischen als Hoch- und Literatursprache aller Italiener hinauslaufen, und zwar unter stolzem Verweis auf die drei Vorzeige-Autoren Dante, Petrarca und Boccaccio. Das war auch bei Machiavelli nicht anders, der Italien als den Raum definiert, in dem diese Lingua franca problemlos verstanden wird; dazu gehören außer der Toskana selbst die Lombardei, die Romagna, das Gebiet des Papstes und das

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