Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Schwestersolidarität» zwischen Venedig und Florenz, wie sie in der Vergangenheit öfter beschworen worden war, konnte 1498 keine Rede mehr sein. Venedig betrieb Eroberungspolitik aus republikanischer Staatsräson und war damit für das militärisch weitaus schwächere Florenz ein Unruhefaktor auf einer ohnehin schon besorgniserregend turbulenten politischen Landkarte.
Der römische König und erwählte Kaiser (so sein genauer Titel) Maximilian aus dem Hause Habsburg hingegen war in Italien «nur» ein Unsicherheitsfaktor. 1498 war er mit den Vorbereitungen zu einem Krieg gegen die Eidgenossen beschäftigt. Als er diesen im Jahr darauf verloren hatte, drängte es den unsteten und unberechenbaren Herrscher zunehmend nach Italien, wo er als Reichsoberhaupt zumindest theoretisch eine wichtige Rolle spielte: Das «Königreich Italien», das zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation gehörte, erstreckte sich bis an die Nordgrenze des Kirchenstaats. Auf dem Papier konnte der römische König hier weitreichende Rechte geltend machen, auch gegenüber Florenz – mit welchem praktischen Erfolg, konnte niemand vorhersagen.
So war die außenpolitische Lage, als Niccolò Machiavelli im Juni 1498 seinen Dienst als Chef der zweiten Kanzlei antrat. Fast alle genannten Herrscher sollte er schon bald auf seinen Dienstreisen persönlich in Augenschein nehmen können. Doch musste sein Augenmerk zugleich auf die inneren Verhältnisse von Florenz gerichtet bleiben. Gewählt worden war er durch die Unterstützung von Gegnern Savonarolas. Veränderten sich die Machtverhältnisse innerhalb der Republik, konnte er sein Amt ebenso schnell wieder verlieren.
Obwohl Patriziat und Mittelstand theoretisch gleichberechtigt waren, dominierten weiterhin die primi, die Mitglieder der führenden Familien, die Politik der Republik. Sie allein stellten die Botschafter, die Florenz zu fremden Herrschern schickte. Machiavelli, der «Nicht-mehr-Patrizier», hatte den hohen und prestigeträchtigen Rang eines offiziellen Gesandten nur ein einziges Mal inne, und das auf einer unbedeutenden Mission im Seeräubernest Monaco. Ansonsten besuchte er die gekrönten Häupter in seiner Funktion als Sekretär der Stadtregierung und der Dieci di Balìa, des «Außenministeriums» der Republik. In dieser untergeordneten Rolle führte er die schwierigen Sondierungen und Vorverhandlungen. Die Botschafter aus der «richtigen» Familie durften dann formell zu Ende bringen, was er eingefädelt hatte – und gegebenenfalls den ganzen Ruhm dafür ernten.
Auch in den übrigen Spitzengremien der Republik waren die Patrizier klar überrepräsentiert. Das galt vor allem für die sogenannten pratiche, in denen ausgewählte Persönlichkeiten von Rang und Einfluss hinter den Kulissen die Weichen stellten. Das Ansehen der alten Führungsschicht lebte also im governo largo trotz der breiten Streuung der politischen Rechte weitgehend ungebrochen fort. Für Niccolò Machiavelli war das ein Handicap.
Doch auch wenn Handwerker und Ladenbesitzer den Abkömmlingen der großen Familien in den Ämtern oft genug den Vortritt ließen, gaben sie die Kontrolle über die Gesetzgebung und die Wahlen nicht aus der Hand. Durch den Großen Rat, der über beides zu entscheiden hatte, zog sich daher häufig ein Riss zwischen den primi und dem Mittelstand. Vor allem bei neuen Steuern legte die Mehrheit regelmäßig ein Veto ein. Dieser Widerstand gegen neue Abgaben reichte bis zum Abstimmungs-Boykott und legte auf diese Weise die Republik öfter lahm: keine Steuern, kein Krieg, keine außenpolitische Handlungsfähigkeit. Für die kleinen Leute war die Rückeroberung Pisas weniger wichtig als für die Oberschicht, deren finanzielles Eigeninteresse damit vielfach verknüpft war.
Doch die Rivalität zwischen Mittel- und Oberschicht war nicht einmal das Hauptproblem der Republik, auch wenn nicht wenige zeitgenössische Historiker und Tagebuchschreiber diese Meinung vertraten. Von der Steuer-Obstruktion abgesehen, verliefen die Frontlinien im Großen Rat viel häufiger zwischen den einflussreichen Familien und ihren Verbündeten selbst. Von 1434 bis 1494 hatten die Medici als Moderatoren und Schlichter der Führungsschicht gewirkt. Als «erster Mann der Republik» hatte Lorenzo il Magnifico das letzte Wort in Sachen Einfluss und Prestige gehabt. Auch wenn er damit die einen begünstigte und die anderen enttäuschte, hatte sein Spruch gezählt. Diese Schiedsgerichtsbarkeit wurde jetzt immer
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