Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
häufiger schmerzlich vermisst – hinter vorgehaltener Hand, denn offen aussprechen konnte man die Sehnsucht nach den vertriebenen «Tyrannen» natürlich nicht. Trotzdem hatten die Medici in Florenz weiterhin ihre Anhänger. Dem herrischen Piero trauerten nur wenige nach. Lorenzos Zweitgeborener Giovanni, der 1489 von Innozenz VIII. zum Kardinal erhoben worden war, wurde hingegen immer beliebter. Er zeigte sich leutselig und hilfsbereit, wann immer ein Florentiner seine guten Vermittlerdienste an der Kurie benötigte. Und auch sein jüngerer Bruder Giuliano de’ Medici wurde aufgrund seiner Milde und Freundlichkeit allgemein geschätzt. Mit jeder Krise und jedem ungelösten Problem der Republik gewannen die verbannten Medici neue Freunde, mit jedem Erfolg nahm die Sehnsucht nach ihrer Rückkehr ab. Das governo largo von Florenz kämpfte nicht nur gegen andere Staaten, sondern trug auch einen Schattenkampf gegen dieses florentinische «Schattenkabinett» in Rom aus.
Wie sich die Patrizier in der «breiten» Republik fühlten, hat Machiavelli später in seiner Geschichte von Florenz mit viel Einfühlungsvermögen beschrieben. Seine Ausführungen beziehen sich auf die Spätzeit Cosimos de’ Medici, doch gehen seine Schilderungen ohne Frage auf eigene Beobachtungen zurück:
Die Richter urteilten nicht mehr nach dem Willen der Mächtigen, sondern nach ihrer eigenen Einschätzung, so dass jetzt immer häufiger auch die Freunde der Mächtigen die Härte des Gesetzes zu spüren bekamen. So aber fanden sich diejenigen, die daran gewöhnt waren, ihre Häuser von Speichelleckern und Bittstellern bevölkert zu sehen, auf einmal ohne Anhänger und ohne Einfluss wieder. Zudem sahen sie sich denjenigen gleichgestellt, auf die sie herabzublicken pflegten, und sie trafen diejenigen als ihre Vorgesetzten, die ihnen vormals gleichgestellt waren. Sie wurden nicht mehr bevorzugt behandelt und nicht mehr geehrt, sondern häufig brüskiert und verspottet, zudem sprach man auf den Straßen und Plätzen ohne Respekt von ihnen und der Republik.[ 1 ]
Wie so oft in seinen historischen und politischen Texten übertrieb Machiavelli. Ganz so machtlos und hilflos fühlten sich die primi weder 1458 noch 1498, doch ging die Angst um, so tief zu sinken.
Die führenden Familien der Republik Florenz waren sich darüber im Klaren, dass sie von den Medici im Exil sehr genau beobachtet wurden: Wer blieb loyal, wer verhielt sich neutral, wer engagierte sich mit Leib und Seele für das neue Staatswesen? Sollten sie eines Tages die Macht in ihrer Heimatstadt zurückgewinnen, würden diese «Leumundzeugnisse» darüber entscheiden, wer unter ihrer Ägide Führungspositionen bekleiden und wer in Ungnade fallen würde. Zu wissen, dass nichts vergessen und gegebenenfalls auch nichts verziehen wurde, machte den primi das Regieren an der Seite von Handwerkern und Ladenbesitzern nicht leichter. Zu einem einheitlichen Vorgehen im gemeinsamen Interesse aber war der innere Kern des Patriziats trotzdem nicht fähig. Im Gegenteil: Selten trat die florentinische Führungsschicht so gespalten auf wie unter dem Konkurrenzdruck des Mittelstands; selbst innerhalb der Clans klaffte jetzt oft ein Riss. Drei Familien spielten dabei die Hauptrolle: die Rucellai, die Soderini und die Salviati. Bernardo Rucellai, der Chef der ersten Gruppe, votierte für eine aristokratisch geführte Republik. Für ihn und seine meist jüngeren Gefolgsleute war der Große Rat ein notwendiges Übel, das so schnell wie möglich zugunsten schmalerer Führungszirkel beseitigt werden sollte.
Rucellais Hauptkonkurrent Piero Soderini gab sich sehr viel volksfreundlicher. Seine Strategie bestand darin, mit den einflussreichsten Vertretern des Mittelstands zu kooperieren und Kompromisse zu schließen; eine ähnliche Haltung nahm die Familie Ridolfi ein. Zwischen diesen beiden Polen verhielt sich die Salviati-Partei abwartend. Ihre Doppelspitze bestand aus den Vettern Jacopo und Alamanno, die als Bankiers und Großhändler zu den reichsten Florentinern ihrer Zeit zählten. Als neutral und daher auch als potentieller Vermittler galt Piero Guicciardini, der Chef eines weiteren vornehmen Hauses, das vor 1494 den Medici eng verbunden war. Sein Sohn Francesco, der später als Historiker europäischen Ruf erlangte, schildert seinen Vater als aufrechten Patrioten, der allein der Größe von Florenz verpflichtet gewesen sei. Doch dieser Patriotismus stand nicht im Widerspruch dazu, für das Wohl der eigenen
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