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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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führten ins Verderben; allein die letzteren bildeten die wahren Gesetze des politischen Handelns. Im Oktober und November 1502 gelangte Machiavelli zu dem Ergebnis, dass im Falle des Duca Valentino die subjektive und die objektive Notwendigkeit zusammenfielen. Cesare Borgia konnte nicht anders handeln, weil er nun einmal so war, wie er war. Und er durfte nicht anders handeln, wenn er Erfolg haben wollte. Das war ein Kompliment für den Herzog, doch ein noch größeres für Machiavelli selbst, der diese Gesetzmäßigkeiten durchschaute.
    Sein Schlussurteil stand schon am 23. Oktober 1502 fest:
Auch wenn ich nur die Hälfte unserer Besprechungen aufschreibe, kennen Sie jetzt die Worte des Herzogs zur Genüge. So können Sie die Person, die diese Worte spricht, genauer betrachten und mit Ihrem üblichen Scharfsinn beurteilen. Was seinen Staat betrifft, den ich aus der Nähe zu studieren Gelegenheit hatte, so ist er ausschließlich auf dem Glück (fortuna) aufgebaut. Das heißt, seine Macht beruht auf der sicheren Meinung, dass ihn der König von Frankreich mit Truppen unterstützt und der Papst mit Geld. Dann kommt noch eine Sache von nicht geringer Bedeutung dazu, und das ist die Zögerlichkeit und Unentschlossenheit seiner Gegner.[ 45 ]
    Doppeldeutiger konnte man als Diplomat eine Botschaft kaum vermitteln: Zuerst verbeugte sich Machiavelli vor dem Scharfsinn seiner Auftraggeber, um unmittelbar danach die schallende Ohrfeige folgen zu lassen: Mit ihrer Angst und ihrer Verschleppungstaktik hatten die Florentiner den Papstsohn überhaupt erst groß gemacht. In Wirklichkeit war dieser von Fortuna und von Frankreich abhängig, also wenig mehr als ein Glücksritter.
    Der Ernstfall schien für Cesare Borgia schon Ende Dezember 1502 einzutreten, als sich die französischen Truppen aus der Romagna zurückzogen. Brauchte sie der Herzog nicht mehr, stand er militärisch endgültig auf eigenen Füßen? Oder war er beim allerchristlichsten König nach so vielen Eigenmächtigkeiten endgültig in Ungnade gefallen? Machiavelli zögerte, wog ab – und hielt den Papstsohn für irreparabel geschwächt: Cesare ohne Ludwig, das war höchstens noch die Hälfte der alten Schlagkraft und ein Drittel des vorherigen Prestiges. Der nächste Schachzug des Herzogs hingegen wertete ihn wieder auf. Er ließ Don Ramirro, seinen Mann fürs Grobe, hinrichten. Ramirro hatte in den eroberten Gebieten der Romagna aufgeräumt, das heißt: die oppositionellen Führungsschichten liquidiert, unnachsichtig für Recht und Ordnung gesorgt und auf diese Weise Cesares Autorität gestärkt. Dadurch, dass dieser ihn jetzt köpfen ließ, schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe: Er demonstrierte seine Macht und zeigte zugleich, dass er Ramirros hartes Durchgreifen missbilligte, machte sich also beim Volk beliebt.
    Und dann folgte der große Coup, den Machiavelli vorausgeahnt hatte! Der Herzog lud für den 31. Dezember zu einem Versöhnungstreffen nach Senigallia ein, und alle, alle kamen: Die eben noch so aufmüpfigen Unterfeldherren trabten brav wie die Lämmchen ins Schlachthaus. Cesare Borgia brauchte sie nur noch einzusammeln. Vitellozzo Vitelli und Liverotto da Fermo ließ er noch in derselben Nacht erwürgen, Francesco und Paolo Orsini blieben als Geiseln am Leben – vorerst. Machiavelli triumphierte: Er hatte Recht behalten! Cesare Borgia aber triumphierte noch viel mehr. Kurz nach dem dramatischen Geschehen, in tiefster Nacht, ließ er Machiavelli zu sich rufen. Jetzt, im Moment des Überschwangs, redete er zum ersten Mal ohne Verstellung – die Euphorie machte redselig und vertrauensselig. Er werde, so der Herzog, den Kirchenstaat von sämtlichen Tyrannen befreien, doch für sich nur die Romagna behalten. Durch diese Uneigennützigkeit werde er sich die Dankbarkeit der nachfolgenden Päpste erwerben und daher seinen Staat unbehelligt behaupten. Auch Florenz, so der euphorische Nepot, habe er durch die Liquidierung seiner Feinde unschätzbare Dienste erwiesen. Als nächstes werde er sich Pandolfo Petrucci, den Herrn von Siena, vornehmen und Florenz dadurch von einem lästigen Konkurrenten befreien.
    Machiavelli war beeindruckt. Wer sich so starker Gegner so virtuos zu entledigen wusste, war ein ernstzunehmender Machtfaktor. Cesare hatte in seinen Augen übermenschlichen Mut bewiesen und durch diesen Schlag aus heiterem Himmel seine Herrschaft gestärkt. Doch folgte auf das «Ja» weiterhin ein «Aber»: Der Herzog hat eine gute Gelegenheit optimal

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