Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
verfault. Einen Monat davor hatte Rüssel versucht, die auf der Leine hängende Wäsche der Nachbarn zu stehlen. Eine Omi in Pantoffeln und Morgenrock kam aus ihrer Wohnung gestürzt und begann zu kreischen. Er stach ihr mit dem Messer ins Auge. Bespritzte sich die Jacke bis zum Ellbogen. Die Klinge versank fast bis zum Griff in der runzligen Augenhöhle.
    Der zweite Freund hieß German. Ich erinnere mich sehr gut, dass er sich gerade die ersten Turnschuhe von New Balance gekauft hatte, als er nach Riga fuhr. German war sehr modebewusst. Jeden Morgen beklagte er sich, er könne den Geruch der Freundin von gestern nicht abwaschen. Womit bespritzen die Scheißweiber sich hier bloß? Seine teuren Schuhe und die Form seiner Nase wirkten auf die Mädchen wie ein Angelhaken ins Kinn.
    Fünf Jahre später wurde German Mitinhaber einer Modelagentur. Turnschuhe trug er nun nicht mehr. Jetzt kostete jeder einzelne seiner Halbschuhe so viel wie ein kleineres Auto. Für ir-gendeins seiner Projekte lieh sich German Geld – aber das Projekt war ein Fehlschlag. Die Summe war nicht so gewaltig, es hätte sich noch alles regeln lassen. Aber Stattdessen beschloss er unterzutauchen, stürzte sich ins süße Leben, lieh sich noch mehr Geld und bewirtete jeden Abend teure Prostituierte mit Kokain. Die Gläubiger kamen zu der Erkenntnis, dass es keinen Zweck habe, sich mit diesem Trottel zu unterhalten. Unter dem Ruf »Eins! – Zwei! – Drei!« warfen sie German aus dem obersten Stockwerk des Hotels »Sankt-Peterburg«.
    Als Dritter fuhr ein Bursche mit uns, der Rubinstein hieß. Er war der einzige Jude in unserer Klasse. Deshalb wurde er häufig verprügelt. Ich schlug ihn auch, aber in der Abschlussklasse freundeten wir uns an. Rubinstein heiratete das schönste Mädchen der Schule und brachte sie bald darauf aus dem Land. Ich weiß nicht mehr, wohin. Vielleicht nach Israel.
    Es ist mir schleierhaft, warum sie sechs Jahre später zurückkamen. Sie brachten zwei Kinder mit, die fast überhaupt kein Russisch konnten. Rubinstein fand eine Stelle als Wachmann bei einem Lebensmittelgeschäft. Er bekam pro Schicht zwei Dollar. Trotzdem erlaubte er seiner in die Breite gegangenen Frau nicht zu arbeiten. Um nicht vor Langeweile zu sterben, amüsierte sie sich damit, sich alles ins Bett zu holen, worauf ihr Blick fiel. Mit ihren Erfolgen prahlte sie vor ihrem Mann. Jedes Mal weinte Rubinstein und jammerte: »Warum nur, Lenotschka? Warum?«
    Der Sommer damals war heiß. Als die Rigaer Mädchen uns erblickten, klimperten sie mit den Wimpern und vergaßen die russische Sprache ein für allemal. Wir lachten laut und tranken in den Straßencafes Wein, rot wie die Pupillen Graf Draculas.
    Alles war wunderbar. Alles fing gerade erst an ...
    Beim Abschied versuchte Witalik, Brigitta die Hand zu küssen, und warf fast den Tisch um. Als ich am Kongress-Center ankam, war es völlig dunkel. Mein italienischer Zimmergenosse lag auf dem Bett und las ein dickes Buch. Vielleicht die Bibel oder das Telefonbuch. Ich war nüchtern und müde.
    Dann gelang es mir sogar, eine Weile zu schlafen.
    »He! Bist du eingeschlafen, oder was? He! Entschuldige! Hast du vielleicht meine Socken gesehen?«
    Papauskas sprach in zischendem Flüsterton. Durch die angelehnte Tür fiel Licht auf ihn. Er beugte sich zu mir herunter und streckte seine betrunkenen Arme aus, um nicht zu fallen. »Was für Socken?«
    »Ich hab heute im ›Robertson‹ Socken gekauft.«
    »Hier sind deine Socken nicht. Du hast sie mitgenommen.«
    »Bestimmt?«
    »Wie spät ist es? Wozu brauchst du nachts um halb zwei Socken?«
    »Komm, steh auf. Lass uns zu den Kasachen gehen. Einer von denen feiert im Garten Geburtstag. Mädchen sind auch dabei!«
    »Scher dich zum Teufel!«
    »Kommst du nicht mit?«
    »Ich will schlafen. Und morgen zur Sitzung ...«
    Als er das Zimmer verließ, rammte Papauskas mit der Schulter den Türpfosten.
    Ich blieb mit geschlossenen Augen eine Weile liegen. Dann stand ich auf und tastete im Dunkeln nach meinen Jeans. Im Garten flatterten rund um die Laternen tropische Insekten mit riesigen Flügeln.
    Meine Landsleute zu erkennen war nicht weiter schwierig. Solche Frisuren macht man in keinem anderen Land der Welt mehr. Auf Liegestühlen und im Gras saßen etwa zwanzig Menschen. Bei Licht erkannte ich, was für ein gläsernes Gesicht Papauskas hatte. Er muhte etwas zur Begrüßung und stellte mich dem Geburtstagskind vor.
    Gesprochen wurde Russisch.
    »Andrjucha! Wie gut, dass

Weitere Kostenlose Bücher