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Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Bücherkiosken vorbei. Von den Buchumschlägen zwinkerten mir Hochglanztypen zu, die offenbar alle gerade bei einem teuren Zahnarzt gewesen waren. Es stand mir bis hier, kein Geld zu haben. Sollte ich vielleicht auch einen Roman schreiben, der mit den Worten anfing »Der Major hatte ein Kinn wie Granit und Augen von der Farbe der stürmischen See«? Tagsüber ist es auf einer Metrostation lustig. Auf den Bänken sitzen die Punks in Kunstlederjacken. Beinamputierte Bettler in Fallschirmspringerkluft stehen herum. Im Durchgang zur »Dostojewskaja« spielt eine Saxofonistin. Natürlich nicht gerade Candy Dulfer, aber sehr hübsch. Das Mundstück hält sie mit ihren Lippen so umfasst, dass ich mich jedes Mal, wenn ich in engen Jeans vorbeigehe, vorsichtshalber bemühe, sie nicht anzusehen. Jetzt liefen unter den hohen Deckengewölben hallende Stimmen hin und her. Nachdem sie über den Bahnsteig geschlendert waren, kehrten die Passagiere wieder zurück und betrachteten den Sterbenden. Hin und wieder spuckte einer auf den Boden.
    Nach einer halben Stunde trafen Rettungsdienste und Vorgesetzte ein. Zuerst erschien der Notarzt. Ohne besondere Eile kam er vom anderen Ende des Bahnsteigs. Unter seinem Kittel sah ein ausgeleierter, grauer Pullover hervor. In der Hand trug er ein Köfferchen. Neben ihm schritt, ebenfalls ohne Hast, eine Krankenschwester. Sie drückte mit beiden Händen eine schwarze Mappe an ihren weißen Bauch. Sie gingen bis zu der Stelle, wo man den nackten Mann sehen konnte. Der Arzt stellte das Köfferchen auf den Boden und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Nach ihm tauchten in blauen Uniformen die Metrobonzen auf. Sologub stürzte sich auf sie wie Graf Dracula auf die letzten noch nicht von Aids befallenen Erdbewohner. »Kein Kommentar!«, streckte ihm der ranghöchste Beamte die gespreizte Hand entgegen. Mit der Hand wollte er offenbar das Objektiv der Fernsehkamera verdecken. Es gab aber keine Kamera. Irritiert ließ der Bonze den Arm sinken.
    »Ich habe gesagt, kein Kommentar!«, wiederholte er, aber was war für Sologub schon irgend so ein Metrostiesel? Einen Augenblick später standen sie schon an der Stelle, von der aus man den nackten Rücken sehen konnte, und der Bonze brabbelte, die Lippen ans Diktafon gedrückt.
    »Wird man den Zugführer vor Gericht stellen?«
    »Man wird sehen. Eher nicht. Es ist wohl kaum die Schuld des Zugführers.«
    »Und wessen Schuld ist es?«
    »Wenn er betrunken war und von selber gefallen ist ... Oder wenn man ihn gestoßen hat, dann ... Aber falls sich herausstellt, dass das Opfer vom Rückspiegel gestreift worden ist ... Obwohl auch in diesem Fall eher das Opfer selber schuld ist. Es stand dann zu nahe am Rand des Bahnsteigs. Ich denke, der Zugführer wird nicht vor Gericht gestellt werden.«
    Der Mann bemühte sich, in ausgefeilten, druckreifen Sätzen zu sprechen. Ringsum standen die Passagiere.
    »Glauben Sie, er wird überleben?«
    »Die Frage dürfen Sie nicht mir stellen. Dort steht der Arzt. Fragen Sie ihn.«
    »Ich meine damit – wie oft überleben Menschen überhaupt solche Stürze? Ich vermute, das ist nicht der erste derartige Zwischenfall in Ihrer Dienstzeit.«
    Der Mann hätte gern etwas Sensationelles gesagt. Er dachte nach und musste dann doch zugeben, dass auf der »Wladimirskaja« ein solcher Fall noch nicht vorgekommen war. Sologub drehte sich auf dem Absatz um und stieß das Diktafon dem Arzt in die Zähne. Es war ein teures Diktafon. Eins von der Sorte, die nicht für die Standardkassetten, sondern für diese ganz kleinen sind. Er machte alles richtig. Je näher man das Diktafon dem Gesprächspartner vors Gesicht hält, desto mehr fühlt sich dieser wie ein Filmheld.
    Der Arzt fragte, für welche Zeitung Sologub arbeite. Der nannte den Namen seiner Zeitung. Ohne Eile blickte der Arzt auf die Bahnschwellen hinunter und sagte, dieser Mann werde wohl kaum überleben.
    »Aber jetzt ist er noch am Leben?«
    »Natürlich. Sie sehen ja: Das Blut fließt immer noch. Man kann Atembewegungen beobachten. Nein, jetzt ist er zweifellos am Leben.«
    Die Passagiere reckten die Hälse, wie Schüler bei einer Führung, und folgten mit den Augen dem Finger des Arztes.
    Dann traf die Miliz ein, und die Gaffer wurden vom Bahnsteig gedrängt. Ein Sergeant gab den Befehl durch, alle Rolltreppen nach oben in Bewegung zu setzen. »Zum Ausgang! Bitte alle zum Ausgang!« Die Passagiere schimpften und sagten, sie würden sich verspäten. Wie bitte sollen wir zur

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