Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
am Ausgang der Metro die Hand zu wechseln. Der Kopf des nackten Mannes kam ins Schaukeln. Mir schien, als fixiere er mich mit seinem heilen Auge. Die flaumigen Wimpern bebten. Vielleicht zwinkerte er mir zu?
    Im Trippelschritt trugen alle sechs die Bahre zu dem weißen Krankenwagen. Als Letzte kam die Krankenschwester. Sie hielt am Schnürsenkel den Schuh, in dem der abgerissene Fuß steckte. Es sah aus, als hätte das Mädchen ein garstiges Kätzchen beim Schlafittchen gepackt und trüge es zum Waschen.
    Ich rauchte meine letzte Zigarette zu Ende. Sie krümmte sich nach unten wie das beschnittene Glied Sologubs. Im Regen fröstelte der granitene Antisemit Dostojewski.
    »Also dann. Ich fahre jetzt nach Hause.«
    »Willst du ein Bier?«
    »Nein, wirklich nicht. Tschüs.«
    »Wenn man schon Pech hat, dann richtig.«
    »Was meinst du?«
    »Warum hatten wir bloß keinen Fotografen dabei?«
    »Mach‘s gut.«
    Es war endgültig Morgen geworden. Der freche Regen spuckte durch die Zähne in die grauen Gesichter der Pfützen. Die legten sich in Falten, aber protestierten nicht. Mit dem Trolleybus fuhr ich nach Hause. Die Passagiere hatten unausgeschlafene, aufgequollene Gesichter. Vor Hunger und von dieser Nacht war mir schwindlig und etwas übel. Trotzdem schlief ich unterwegs ein. Ich träumte von saftigem, frischem Fleisch – viel Fleisch – es war nachgiebig – es wehrte sich gegen nichts auf der Welt.

Vierte Geschichte
Von Marie und Juana
    K irill lernte ich im Winter vor drei Jahren kennen. Im »Korsar«. Ein Typ namens German, der irgendwas mit dem Model-Business zu tun hatte, brachte ihn mit. Es schneite – trockener, feiner Schnee, als hätte dort oben irgendwer Schuppen. Ich saß mit einem Mädchen zusammen, wer sonst noch dabei war, weiß ich nicht mehr. Wir hatten uns eigentlich nicht getroffen, um uns zu betrinken, rannten aber trotzdem dauernd zur Theke. Nur Kirill saß den ganzen Abend vor einem einzigen Glas. Allerdings verschwand er ab und zu, um Marihuana zu rauchen. Von draußen kehrte er rot, kalt, lächelnd zurück.
    Ich fand ihn ganz nett. Unkompliziert, verträglich, nachgiebig. Wenn am Tisch Mädchen auftauchten, begann er mit ihnen zu flirten. Wenn die Mädchen gingen, war er nicht traurig, sondern ging noch eine rauchen. Er trug eine Jacke von »La Bamba«. Diese Sorte aus Filz, mit Druckknöpfen und dem Emblem eines Hockeyclubs auf der Brust. Den Kopf hatte er sich kahl geschoren. Links auf seinem Schädel war eine Narbe, rosig wie ein Babypopo. Kirill sagte, ein Betrunkener habe ihn bei einem Popkonzert mit einer abgebrochenen Flasche an der Schläfe getroffen. Er trug ausschließlich Lederhosen, die er für ein paar Dollar in Secondhandläden kaufte. Als Schuhe bevorzugte er Stiefel.
    Als German uns miteinander bekannt machte, sagte er, Kirill habe seine eigene Rockabilly-Gruppe. Ich schaute extra in eine englische Rock-Enzyklopädie. Dort stand, Rockabilly sei »eine Synthese zwischen der Ehrlichkeit des frühen Rock ‘n‘ Roll und der Energie des Punkrock«. So als ob Elvis Presley sich vier Kubikzentimeter Heroin gespritzt, dazu ein Pint Bier getrunken und mit dem Ruf »No Future!« das Hemd auf seiner unbehaarten Brust zerrissen hätte.
    Spezialisten versicherten, dass unter den Petersburger Rockabillys Kirill, wenn nicht schon jetzt, so doch bald die Nummer eins sein werde. Die Fans, besonders die weiblichen, fuhren ihm in die Clubs hinterher. Ich erinnere mich besonders an zwei Mädchen: beide in Lederwesten und mit den gleichen Tattoos. Tanzen konnten sie so, dass Uma Thurman aus Pulp Fiction daneben wie ein beinamputierter Invalide ausgesehen hätte. In den Pausen zwischen den Songs umarmten die Mädchen sich manchmal und gaben sich Zungenküsse.
    Mehrmals kreuzten sich unsere Wege in Clubs und auf Feten. Dann begann er, mich in seine Konzerte einzuladen. Zu dem, was er machte, hatte Kirill eine normale Einstellung. Wenn man ihn traf, knurrte er nicht durch die Zähne, er wäre spät dran, schon seit ein paar Stunden warteten holländische Produzenten auf ihn. Aber er biederte sich auch nicht an, in der Art von: »Schon-gut-Jungs-ich-klimper-ja-nur-‘n-bisschen-auf-‘ner-Gitarre-rum«. Noch bevor wir uns kennen lernten, hatte er sein erstes Album aufgenommen. Das Begleitheft mit den Songtexten hatte er selber gestaltet. Malen konnte Kirill sehr anständig. Ich glaube, er hatte sogar eine Kunstakademie besucht. Über das schwarze Heftchen krochen extraterrestrische Missgeburten,

Weitere Kostenlose Bücher