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Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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drängelten sich vor dem Spiegel. »Was trinken wir?«, brüllten alle auf einmal. Ich mag keine laute Musik. Jedenfalls nicht, wenn es Rave ist. Mehrmals beugte ich mich zum Tisch hinunter und nahm einen Schluck aus der eingeschmuggelten Flasche. Dann stieg ich auf die Galerie. Von dort konnte man gut auf die Tanzfläche sehen, und die Musik erschlug einen nicht so. Ein Bier wäre jetzt nicht schlecht gewesen, aber ich hatte überhaupt kein Geld mehr. Ob ich den Amerikaner anpumpen könnte? Marina hatte, wie ich mich erinnerte, auch kein Geld.
    Ich steckte mir eine Zigarette an.
    »Ich suche dich schon! Wieso sitzt du hier? Kannst du Englisch?«
    »Einigermaßen.«
    »Was heißt dieses Wort?«
    Auf der Serviette standen eine Menge durchgestrichener Zahlen. Vor jeder Zahl stand das Zeichen $. Marinas schöner Fingernagel piekste auf das Wort blow-job.
    »Oralsex.«
    »Was?«
    Die Musik hämmerte widerlich laut.
    »O!-ra!-ler! Sex! Wieso willst du das wissen?«
    Marina winkte ab und lief nach unten. Um nicht zu fallen, hielt sie sich mit beiden Händen am Geländer fest. Die Treppen in den »Sündern« sind verdammt steil. Gegen fünf Uhr begann sich der Amerikaner zu verabschieden. Gewissenhaft schüttelte er allen die Hand – auch Schenja – und ging. Marina lief nach draußen, zu der Tag und Nacht geöffneten Geldwechselstelle, und gab mir einen Tequila aus. Von ihr lieh ich mir auch etwas Geld für ein Taxi. Durch Schmutz und Schlamm nach Hause zu stiefeln hatte ich keine Lust. Vor dem Autofenster war es schon Morgen. Durch den Rinnstein lief graues, granitenes Wasser.
    Ich wachte erst mittags auf. Fühlte mich wieder schmutzig, verkatert, zerschlagen. Wälzte mich im Bett herum und glotzte aus dem Fenster. Hatte keine Lust aufzustehen. Dann hinkte ich zur Toilette. Dort wurde mir alles klar.
    »Motherfucker!«, sagte ich.
    * * *
    Damals wurde ich gerade vierzehn. Es war Frühling. Alle sprachen nur von der Explosion im Tschernobyler Atomkraftwerk. Wie viele Jahre lag das zurück?
    Zusammen mit einem Typ mit dem Spitznamen Lis wohnte ich in einer halb leer stehenden Wohnung an der Tawritscheskaja. Lis behauptete, er sei aus der Strafkolonie für Minderjährige in Kolpino geflohen. Wie er richtig hieß, fragte ich ihn nicht. In der Wohnung gehörten uns zwei hintereinander liegende Zimmer mit abgerissenen Tapeten und Matratzen auf dem Fußboden. Plus eine Gasflamme auf dem Gemeinschaftsherd. Wenn wir nichts mehr zu essen hatten, zogen wir los und beklauten die Besucher der modischen Discobar »Vienna«. Oder machten uns zum Universitäts-Kai auf, um dort Breakdance zu tanzen.
    Über den Kai bummelten die Liebhaber der weißen Nächte und hoch gezogenen Brücken. Das Publikum trank Alkohol, amüsierte sich und warf uns Geld zu. Wir tanzten zwar bloß mittelprächtig, aber für gekochtes Huhn und Kaffee im »Saigon« reichte es. Gleichzeitig fand sich eine Lösung für das Problem Sex.
    Das kahl geschorene Mädchen mit der Zigarette im grell geschminkten Mund war mir sofort aufgefallen. Eine Grimasse gegen den Rauch schneidend, sah sie sich meine Schrittfolgen an, und danach verdrückten wir uns in einen Hauseingang. Mehrere Male fing sie an, sich ihre engen Jeans aufzuknöpfen. Jedes Mal wurden wir gestört. Im Treppenhaus ging es zu wie auf einer Durchgangsstraße, und das Mädchen sagte, das sei nervig und ob wir nicht zu mir gehen könnten.
    Bei mir zu Hause zog sie sich aus, legte ihre Sachen ordentlich zusammen und sagte, dass sie während des Aktes gern rauche. Das gilt als erniedrigend für einen Mann, aber wissen Sie, mir gefiel es. Auf ihrer Brust waren das Zeichen der Lanze und eine nackte Frauensilhouette eintätowiert. Die Brustwarze war ihre eigene, echte, lilafarbene. Gegen Mittag kam Lis, und alles wurde noch interessanter.
    An dieses Abenteuer dachte ich mit einem Lächeln zurück. Bis zu dem Zeitpunkt, wo meine kluge, gebildete Mutter mir sagte, wir müssten uns mal UNTERHALTEN. Es ginge sie zwar eigentlich nichts an ..., aber ob ich nicht besser mal zu einem Venerologen ginge? Ich war inzwischen wieder in die Wohnung meiner Eltern zurückgekehrt. Und meine Mutter wusch meine Unterwäsche. Natürlich hatte ich selber auch schon die grünen Rinnsale bemerkt, die auf meiner Unterhose zu Krusten erkaltet waren. Ich hatte mir deswegen sogar schon Sorgen gemacht. Aber selbst im allerschlimmsten Albtraum hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass SO ETWAS mir passiert. Den Helden in

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