Machos weinen nicht
Beine hervor. Sein Gesicht erinnerte an ein schmallippiges Murmeltier. Über seine Wangen liefen himbeerrote Äderchen. Sie ähnelten der Karte eines noch nicht entdeckten Flusses.
Die Rotgesichtigen stellten sich als Mitglieder der Petersburger Landsmannschaft schottischer Geschäftsleute heraus. Insgesamt nahmen etwa dreißig Personen am Tisch Platz. Vor jedem stand ein kleines Plastiktablett, auf dem sich vierzehn niedrige Gläser befanden. Auf den Boden eines jeden war eine besondere Whiskysorte eingegossen. Von links nach rechts wurde die Farbe des Getränks dunkler.
Man merkte, für den Schotten war diese Art von Geselligkeit eine gewohnte Sache. Er spulte seine Witze routiniert herunter. Davon abgesehen, kannte der Mann sich wirklich aus. Zuerst erzählte er von Geschichte und Technik der Whiskyherstellung. Die anderen Schotten, die schon mehrere Liter Bier konsumiert hatten, nickten mit ihren dicken Köpfen und brummten, als die Rede auf den Kampf ihrer Vorfahren mit den englischen Schurken kam.
Dann zeigte der Spezialist Dias mit Ansichten schottischer Seen. »Loch Forfar. Loch Bruicheah. Loch Achnamorine.« Nach den Dias begann die Verkostung.
»Nehmen Sie das erste Glas. Das ist die schwächste Sorte. Schnuppern Sie. Haben Sie nicht den Eindruck, dass im Duft eine Note von auf Wacholderzweigen geräuchertem Lachs ist? Das vierte Glas. Diese Sorte durchläuft mehrere Destillationsstadien und lagert mindestens drei Jahre in Eichenfässern. Ich rate, sie etwas mit Wasser zu verdünnen. Dann werden Sie die ganze Geschmacksskala genießen können – Glas Nummer neun ...«
Als Beilagen standen gekochte Eier und geröstete Toastscheiben auf den Tischen. Mir gegenüber saß ein junger Mann im schwarzen Anzug. In der Hand drehte er ein Handy. Die Beilagen schaufelte er sich derart zusammen, dass ich ein paar Eier auf einen Teller lud und näher zu mir zog.
In jedem Glas waren höchstens dreißig Gramm des Schottentranks. Aber schon beim zehnten Glas fühlte ich, wie mir eklige Ameisen über den Nacken liefen. Geschmacksnuancen hatte ich schon vorher nicht mehr gespürt. Die Stimme des Schotten drang wie vom Boden eines leeren Eimers zu mir.
»Und zum Schluss nun die vierzehnte Sorte. Das ist unser Stolz, Chivas Regal. Bisher haben wir ihn nur in den Staaten und im U.K. distribuiert.«
Der Dolmetscher, ein junger Kerl in einem grob gestrickten Pullover, trank wie alle anderen aus den Gläsern. Einige lange Sekunden überlegte er, was »Ju Kej« auf Russisch heißt. Der rechts von mir sitzende Typ spuckte seinem Gesprächspartner ins Gesicht und verkündete, sein Nachname sei MacLeod.
Verstehst du? Wie in dem Film Highlander. Der Clan MacLeod, hast du nie davon gehört? Sein Gesprächspartner schwitzte mit aufgedunsenen Backen und wiederholte: »Ai dont andeständ. Will sagen, ai spik onli raschn.«
Als das Folklore-Ensemble in den Saal kam, wollte der kurzbeinige MacLeod bereits auf den Tisch steigen und tanzen. Dann wankte er zur Toilette, fiel hin und schlug sich das Gesicht auf. An den Auftritt des Ensembles kann ich mich ehrlich gesagt nicht mehr erinnern. Alle brüllten und stießen klirrend miteinander an. Der Typ mit dem Handy krauste die Nase und lachte laut. Wir machten uns miteinander bekannt und tranken aus den ringsum aufgebauten Flaschen.
»Weißt du nicht mehr? Das ist die Sorte, die nach Lachs riecht?«
»Nach ‘nem Furz riecht die! Ist doch scheißegal, wie!«
Am Tisch saß auch ein Amerikaner. Wo und wann er aufgetaucht war, hatte ich nicht bemerkt. Er hatte einen Bauch, der ihm über den Hosengürtel hing, und spärliche schwarze Haare. Auf der weißen Kopfhaut wirkten sie unecht. Ich ging zur Toilette. Dort hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Eine Zeit lang überlegte ich, ob ich ins Waschbecken pinkeln sollte. Als ich zurückkam, lauschte Schenja mit verkniffenem Mund, wie Marina über das lachte, was der Amerikaner sagte.
»Hast du was?«
»Nein. Alles super.«
»Baggert er sie an?«
»Weiß der Henker. Ehrlich gesagt verstehe ich kaum was. Ich glaube nicht.«
»He, Mister! Dieses Mädchen ist mit ihrem Freund hergekommen!«
»Hör auf!«
Der Amerikaner war nicht beleidigt. Er war im Bilde. Er hatte sich schon mit Eugene bekannt gemacht. Ich nickte und dachte, was für ein prima Kerl ich doch war – ein Gentleman. Dann trank ich noch mal mit dem Handytypen. Auf unerklärliche Weise war plötzlich der Amerikaner neben uns. Manchmal goss ich ihm Whisky ins Glas. Das
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