Mach's falsch, und du machst es richtig
Auswirkung dieser Entwicklungen, so dachte ich, könnte doch nur darin bestehen, daß den Ghostwritern die Geschäfte wegbrechen, weil immer weniger Menschen riskierten, sich demselben Hohn und Spott auszusetzen wie Guttenberg.
Und lag mit dieser Annahme vollkommen – daneben. Als nämlich die
Berliner Zeitung
vom 16 . März 2011 den Ghostwriter Karl-Heinz Smuda danach fragte, wie sich die Debatte um die vielgeschmähte Doktorarbeit Guttenbergs und die Rolle etwaiger Ghostwriter auf sein Geschäft ausgewirkt habe, lautete seine überraschende Antwort: Früher habe er zwei bis drei Anfragen pro Woche zum Schreiben von Diplom- oder Doktorarbeiten erhalten, doch seit die Plagiatsvorwürfe gegen Guttenberg bekanntgeworden seien, «gingen nun 20 bis 30 Anfragen pro Woche» bei ihm ein. Es seien vor allem Studenten aus vermögendem Haus, die sich an ihn wendeten, lauter kleine Guttenbergs, also Menschen aus einem ähnlichen Milieu wie der Ex-Minister, die auf eine ähnliche Karriere hoffen können. Der Grund: Viele hätten vorher gar nicht gewußt, daß Ghostwriter solche Arbeiten anbieten. Smuda im Originalton: «Die Guttenberg-Affäre hat da einen Dammbruch ausgelöst.»
So zeigt sich zum zweiten Mal, daß Kritik an bestimmten Machenschaften eine doppelte Wirkung haben kann: eine plausible und eine paradoxe. Guttenberg fliegt auf – und die Ghostwriter machen bessere Geschäfte. Weil Sie es, liebe Leserinnen und Leser, binnen weniger Minuten ohnehin von selbst herausfinden werden, hier noch der Hinweis, was so eine Dissertation kosten kann. Rechnen Sie mit einem Aufwand zwischen 20 000 und 60 000 Euro [96] – und der Möglichkeit, von einer Gruppe anonymer Plagiatsjäger enttarnt und damit vorerst um ihre Karriere gebracht zu werden. Aber wie wir gesehen haben, sind solche Szenarien nur bedingt dazu geeignet, die Menschen zur Besinnung zu bringen; ein Teil wird fröhlich weiter tun, was man ihnen eben auszureden versucht hat.
Wer beschreibt, wie es Kriminellen gelungen ist, die Börse zu plündern, der liefert all jenen eine Gebrauchsanweisung, die das immer schon machen wollten und nur nicht wußten, wie.
Unter den Büchern, die mit den Praktiken von Börsenhändlern abrechnen, gilt jenes von Michael Lewis als eine Art Klassiker. [97] Schon im Vorwort wird klar, warum. Darin schreibt Lewis, daß er Anleihenhändler an der Wall Street und in London war. Er trete zwar im Laufe seines Buches gelegentlich in den Hintergrund, «dennoch ist die Geschichte von vorn bis hinten meine eigene. Auch das Geld, das ich nicht verdiente, und die Lügen, die ich nicht erzählte, habe ich auf Grund meiner Position als Anleihenverkäufer in meiner ganz persönlichen Art und Weise interpretiert.» Hier spricht also ein Insider. Und zwar ein ganz besonderer. Denn Michael Lewis war, als er sein Buch schrieb, kein frustrierter Aussteiger, der noch ein paar Rechnungen offen gehabt hätte. Vielmehr hatte er an der Börse ein Vermögen verdient und ließ die Leser daher auch wissen, daß es «keinen Grund für Gefühle von Bitterkeit und Enttäuschung gegenüber meinem früheren Arbeitgeber» gebe. Dazu kam seine Ausbildung; bevor Lewis die London School of Economics absolvierte, hatte er einen Abschluß in Kunstgeschichte gemacht und kurze Zeit bei einem New Yorker Kunsthändler gearbeitet. Seine Weltsicht war also noch durch anderes geprägt als die stupide Suche nach dem schnellsten Gewinn.
Es ist daher durchaus nachvollziehbar, warum es Lewis in seinem 1989 erschienenen Buch mit dem Titel «Wall Street Poker» gelang, «die Arroganz der Manager und ihre Ignoranz, die Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit, mit der ein paar gerade der Pubertät entwachsene Männer mit dem ökonomischen Schicksal des Landes Roulette spielten», so anschaulich zu beschreiben. Dieser Satz, der Lewis’ Abrechnung mit der Wall Street charakterisiert, stammt von Harald Staun; er erwähnte ihn, als er dessen bislang letzte Publikation rezensierte [98] , eine Auseinandersetzung mit der Finanzkrise des Jahres 2007 . Den Ausschlag freilich, an dieser Stelle noch einmal auf «Wall Street Poker» zurückzukommen, gab etwas anderes. Es war ein kurzer Absatz, in dem Harald Staun auf die Reaktionen zu sprechen kommt, die das Buch seinerzeit ausgelöst hatte. «Die neugierigsten Leserbriefe», schreibt er, «kamen von jungen Studenten, die fragten, ob Lewis ihnen noch ein paar weitere Geheimnisse verraten könne. Sie hatten das Buch als
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