Mach's falsch, und du machst es richtig
eignen, junge Börsenbroker begierig ein ähnliches Abenteuer suchen zu lassen?
Lewis trägt damit selbst seinen Teil an der Verantwortung dafür, daß sein Enthüllungs- auch zum Handbuch werden konnte. Er hat übersehen, daß Texte, die minutiös beschreiben, wie Skandale oder Verbrechen zustande gekommen sind, immer einen Doppelcharakter haben: Sie sind Anklage und Anleitung zugleich. Doch suchen wir nach einem «Schuldigen» in diesem Spiel, also demjenigen, der aus dem Buch eine Anklage bzw. eine Anleitung gemacht hat, dann werden wir keinen finden. Denn wie Paul Watzlawick so treffend beschrieben hat, organisieren sich lebendige Systeme nicht linear, sondern kreisförmig, in Schleifen. [100] Das heißt: Wir tun etwas, unser Gegenüber reagiert darauf, liefert damit die Voraussetzung für unsere nächste Reaktion, auf die wiederum unser Gegenüber reagiert – und immer so fort. Die einzige Chance, dieses Spiel zu verhindern, besteht darin, es nie zu
beginnen
. Also schlicht und einfach keine Bücher zu schreiben, in denen wir ganz genau darlegen, was wir
eigentlich
kritisieren und gerne aus der Welt geschafft sehen würden. Wer dennoch ein entsprechendes Buch schreibt und sich nach dem Erscheinen erstaunt über die eigene Wirkung zeigt – der muß entweder naiv oder zynisch oder unklug sein. Manchmal auch alles zugleich.
Journalisten, die vom tragischen Selbstmord eines Prominenten erzählen, motivieren Menschen dazu, das gleiche zu tun. Obwohl dieser Zusammenhang zweifelsfrei erwiesen ist, erscheinen immer wieder einschlägige Berichte.
Letztlich ist die paradoxe Wirkung von Büchern wie «Wall Street Poker» leicht nachzuvollziehen und in gewisser Weise verständlich. Es wäre absurd, aufgrund ihres Vorbildcharakters zu fordern, sie dürften nicht mehr publiziert werden. Ganz anders verhält es sich mit den folgenden Botschaften; sie lassen eine entsprechende Forderung durchaus berechtigt erscheinen, bringt doch deren Doppelcharakter Menschen dazu, bis zum Äußersten zu gehen. Dazu müssen Journalisten nichts anderes tun, als einen Prominenten zum Hauptdarsteller ihrer Geschichte zu machen. Wie zum Beispiel Robert Enke, den Torwart von Hannover 96 , der sich am 10 . November 2009 das Leben genommen hat. Kaum bekanntgeworden, erschien eine Unzahl von Berichten. Sie schilderten, was Enke zu dem tragischen Entschluß getrieben hat (Depressionen), wie er es angestellt hat (indem er sich vor einen Zug warf) und was seine Familie, seine Fans und der Rest der Welt dazu sagen (na, was wohl?). Nun sollte man annehmen, daß Berichte über den Freitod eines sympathischen Menschen wie Robert Enke das beste Mittel sind, andere davon abzuhalten, das gleiche zu tun. War nicht in jedem Satz zu lesen, wie sinnlos und tragisch eine solche Tat sei? Wie verantwortungslos den Hinterbliebenen gegenüber? Und wie bedauernswert die Fans seien? Ja, wir haben es gelesen, immer und immer wieder. Und doch entfalteten all diese Artikel genau jene doppelte Wirkung, wie wir sie bereits beobachten konnten. Während die einen betroffen innehielten, folgten andere dem Sportler nach und begingen ebenfalls Selbstmord. Es waren so viele, daß das Magazin der
Süddeutschen Zeitung
vom «Enke-Effekt» [101] sprach. Und den Leipziger Psychiatrieprofessor Ulrich Hegerl fragte, welche konkreten Auswirkungen die unzähligen Berichte über den Fußballer gehabt hätten. «Drastische», so seine knappe Antwort. Allein Mitte November 2009 habe es viermal so viele Tote gegeben wie sonst in diesem Monat. Ulrich Hegerl weiß, wovon er spricht, beschäftigt er sich doch seit Jahren intensiv mit dem Thema Suizidprävention. Gemeinsam mit Wolfram Ziegler hat er bereits im Jahr 2002 eine einschlägige Studie publiziert. Sie heißt «Der Werther-Effekt» [102] ; in ihrem Titel bezieht sie sich auf jene Serie von Selbstmorden, die Goethes Roman «Die Leiden des jungen Werthers» nach seinem Erscheinen im Jahr 1774 ausgelöst haben soll. Der Aufsatz mit dem Untertitel «Bedeutung, Mechanismen, Konsequenzen» beschäftigt sich mit der Wirkung einschlägiger Medienberichte und gibt einen Überblick bislang publizierter Forschungen. «Man muss also davon ausgehen», heißt es dort lapidar, «dass durch Medienwirkungen Menschen zu Tode kommen, die sich normalerweise nicht das Leben nehmen würden.»
Das
SZ
-Magazin zitiert in seinem Artikel noch einen anderen Fachmann, und zwar Karl-Heinz Ladwig, Professor für Psychosomatische Medizin. Aus dessen Sicht
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