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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ankowitsch
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sein. Ja, es ist sogar die Voraussetzung unserer Sprache, daß sie es
nicht
sind, wie Fritz B. Simon schreibt [95] : «Unsere Sprache und unser begriffliches und symbolisches Denken können nur deshalb funktionieren, weil die dabei verwendeten Symbole nicht nur eine Bedeutung haben. Worte, Begriffe und Zeichen sind fast nie
Name
für irgendwelche klar abgegrenzten Dinge oder Sachverhalte», vielmehr transportierten sie «ganze
Bündel von Bedeutungen
». So bedeute uns eine rote Ampel nicht einfach nur stehenzubleiben, sondern «‹Bleib stehen, wenn du noch nicht die Straße betreten hast!› und ‹Geh schnell weiter, wenn du gerade mitten auf der Straße bist!›».
    Folgen wir diesem Ansatz, so wird recht schnell deutlich, daß uns der Film «Findet Nemo» nicht nur
eine
Geschichte erzählt, sondern mindestens
zwei
. Zum einen die Geschichte eines freiheitsliebenden Fisches. Und zum anderen jene eines Zahnarztes, der sich ein kleines Glasbecken aufgestellt hat, um darin Fische zu halten. Welche dieser beiden Botschaften zu uns durchdringt und welche von ihnen unser Verhalten bestimmt, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit vorhersagen. Die Reaktionen der Zuseher sprechen eine ambivalente Sprache: Die einen warfen ihre Fische ins WC , weil sie ihnen die Freiheit schenken wollten. Die anderen hingegen schafften sich Aquarien an, weil doch Nemo so ein netter kleiner Fisch ist, dem man gerne den ganzen Tag dabei zusieht, wie er im Kreis schwimmt. Ich weiß, es ist recht spekulativ, aber ich gehe davon aus, daß es Menschen gibt, die
beides
gemacht haben, in welcher Reihenfolge auch immer. Das bedeutet: Wir müssen stets davon ausgehen, daß es nicht die
eine
Botschaft gibt, die in ihrer ganzen Einfachheit ihre Adressaten erreicht. Vielmehr sollten wir uns damit abfinden, daß wir stets in Stereo senden, also Doppelbotschaften übermitteln, wenn nicht sogar in Quadrophonie.
    Zumindest legen viele Beispiele diese These nahe – wie jenes aus der jüngsten Vergangenheit, in dem Karl-Theodor zu Guttenberg eine wichtige Rolle spielt. Bekanntlich endete der unaufhaltsam scheinende Aufstieg des CSU -Politikers, als er nach wochenlangen Debatten eingestehen mußte, wichtige Teile seiner Dissertation abgeschrieben zu haben. Wobei die Formulierung «abgeschrieben zu haben» den Kern der Sache nicht ganz trifft: Sie folgt zwar der offiziellen Sprachregelung, der zufolge Guttenberg seine Doktorarbeit selbst verfaßt haben will (und zwar mangelhaft); andere gehen aber davon aus, daß der Anfang März 2011 zurückgetretene Verteidigungsminister jemanden damit beauftragt hat, seine Dissertation für ihn zu schreiben – in Teilen zumindest. Eine These, die angesichts der Lebensumstände des Politikers und der Machart der Arbeit recht plausibel erscheint. Aber wie dem auch sei: Die ganze Aufregung um die zusammengeklaute Dissertation führte dazu, daß eine Gruppe von Menschen ins öffentliche Bewußtsein rückte, die bislang im verborgenen gearbeitet hatten: die Ghostwriter. Seither ist deutlich mehr Menschen als früher bekannt, was diese Leute tun: Sie schreiben lange wissenschaftliche Arbeiten, lassen sich dafür ordentlich bezahlen und halten ansonsten den Mund. Denn weder der Autor solcher Manuskripte noch der Käufer haben ein Interesse daran, daß jemand davon erfährt. Die Ghostwriter nicht, weil es schlecht für ihr Geschäft ist. Und die Käufer nicht, weil sie das Manuskript als eigenes ausgeben und sich dadurch strafbar machen (unterschreiben sie doch in der Regel, daß sie der Urheber sind).
    Mit alledem ist es seit dem Skandal um Guttenbergs Doktorarbeit vorbei. Heute wissen deutlich mehr Menschen als früher, daß man sich einen akademischen Titel nicht unbedingt erarbeiten muß, sondern auch erkaufen kann. Und es wissen auch deutlich mehr Menschen, daß man besser keinen Gebrauch von dieser Möglichkeit macht, denn: Wenn eine sorglos zusammengeschusterte bzw. -geklaute Diss selbst einen Überflieger wie Guttenberg die Karriere kosten kann, dann schreibt man sie lieber selbst – oder verzichtet auf einen Titel. So nahm ich zumindest an. Darin sah ich mich durch die weiteren Ereignisse bestärkt. Seit Guttenberg finden sich nämlich via Internet immer wieder Gruppen anonymer Plagiatsjäger zusammen, um die Dissertationen vor allem prominenter Autoren zu filetieren – stets auf der Suche nach offen Geklautem und verschämt Abgeschriebenem. Und tatsächlich: Sie werden immer wieder fündig. Die einzig mögliche

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