Mach's falsch, und du machst es richtig
gleiche sich bloß einer Realität an, die es in Bewegung setzt und zugleich mitbestimmt, könne sich also auch rasch an neue Situationen anpassen – so wird doch jeder, der mit dem Netz zu tun hat, aus eigener Erfahrung bestätigen, wie schwer es ist, sich gegen die Verlockungen des Multitasking zur Wehr zu setzen. Sollte er bislang nicht gewußt haben, wem er das zu verdanken hat, dann weiß er es jetzt: seinem Belohnungssystem. Mit der Tatsache freilich, daß es sich beim Internet um ein junges Phänomen handelt, hat all dies nichts zu tun. Das Gehirn tut, was es seit Hunderttausenden Jahren tut, das Belohnungssystem ebenfalls. Das Internet stellt also nur eine weitere Herausforderung für uns dar, der wir uns stellen müssen – genau wie den Verlockungen anderer Angebote, die uns ebenfalls kurzfristige Belohnungen bescheren, ohne daß wir dafür allzuviel leisten müßten. Wie Drogen zum Beispiel. Korte hat also recht, wenn er befürchtet, daß im Zusammenhang mit der Benutzung des Internets die «Suchtgefahr steigt». Das tut sie. Aber sie tut es überall sonst auch.
Eine weitere Erklärung dafür, warum wir mit unseren Versprechen die überraschendsten Reaktionen auslösen können, ist darin zu suchen, daß wir kaum vorhersagen können, welche Reize sich als Versprechen wirklich eignen und welche nicht. Mit letzter Sicherheit läßt sich das nur für Archaisches wie Essen und Sex sagen: Sobald wir etwas zu uns nehmen, das uns schmeckt, und sobald wir in den Armen eines begehrten Menschen liegen, reagiert unser Gehirn in den allermeisten Fällen durch erhöhte Tätigkeit im Belohnungszentrum, was wiederum dazu führt, daß wir uns deutlich besser fühlen als zuvor und alles unternehmen werden, es zu wiederholen. Von den meisten anderen Reizen freilich läßt sich das keinesfalls mit dieser Sicherheit behaupten, mögen sie auch im Leben vieler Menschen eine wichtige Rolle spielen, wie Geld oder der soziale Status. Welchen Stellenwert bestimmte Dinge wirklich für uns haben, wie sehr sie also dazu in der Lage sind, uns in Bewegung zu setzen – das hängt von einer Reihe höchst veränderlicher Faktoren ab: von unserem kulturellen Umfeld, von unseren Erfahrungen, der Gunst des Augenblicks, unserem Charakter, der aktuellen Nachrichtenlage. Es gibt unzählige Beispiele dafür, in welch exotisch anmutenden Dingen, Gefühlen, Handlungen und Ritualen Menschen eine Belohnung erblicken können.
So kommt es, daß den einen das Gequake der am Kapitelbeginn beschriebenen Software «überraschend gut» erscheint, den anderen der Umstand, während einer Party eingeladen worden zu sein, bei einem neuen Projekt mitzumachen; wieder andere erleben den Moment, in dem ihre Zahnschmerzen nachlassen oder sie einer Gefahr entgangen sind, als Belohnung. Ganz zu schweigen von all jenen Wenn-dann-Spielen, die in den unterschiedlichsten Weltgegenden und verschiedensten historischen Phasen ihre Wirkung entfaltet haben oder zumindest sollten. So wurde beispielsweise in der DDR ganz offiziell billiger Alkohol eingesetzt, um Bergarbeiter zu motivieren, so auch jene, die beim Bergbauunternehmen Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft ( SDAG ) Wismut beschäftigt waren und dort das strategisch wichtige Uranerz abbauten. Kumpel hatten in Ostdeutschland Anspruch auf mindestens zwei Liter billigen, 32 -Vol.-%-igen Trinkbranntwein pro Monat, durch besondere Zuteilungen konnten es bis zu vier Liter werden. Obwohl verboten, verwandelten sich die Bezugsscheine für den Schnaps, der als «Kumpeltod» berühmt geworden ist, zu einer begehrten Handelsware unter den Bewohnern der DDR . Ein ungeplanter, gleichwohl wirkungsvoller Anreiz für viele Männer, ihre Gesundheit zu gefährden, indem sie unter Tage arbeiteten.
Im Oktober 2009 berichtete der Schweizer
Tages-Anzeiger
[117] über ein Quiz, das ein Radiosender in der südsomalischen Hafenstadt Kismayo veranstaltet hatte. Während des Fastenmonats Ramadan sollten jugendliche Hörer, die zwischen zehn und 25 Jahre alt waren, Fragen zum Koran und zur nationalen Geschichte beantworten. Als Belohnung wurde ihnen «Kriegsgerät» in Aussicht gestellt – und dann tatsächlich überreicht. «Den ersten Preis erhielt ein 17 -Jähriger. Er durfte ein russisches Sturmgewehr, zwei Handgranaten, einen Computer und eine Anti-Panzer-Mine mit nach Hause nehmen.» Als Grund für diese Aktion habe ein gewisser Scheich Abdullahi Alhaq folgendes genannt: «Wir wollen die jungen Männer für eine Teilnahme am
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