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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ankowitsch
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Zahl der Betroffenen dar), die Krankheiten vortäuschen oder absichtlich herbeiführen – und zwar nicht an sich selbst, sondern an ihren Kindern; daher auch der Name
by Proxy
, also «in Vertretung». So mischen sie, wie in einem Artikel der
NZZ
am Sonntag
zu lesen war [121] , Blut in den Urin ihrer Kinder, um sie pflegebedürftig erscheinen zu lassen; oder sie geben ihren in der Regel bis vier Jahre alten Kindern Substanzen, die sie krank machen – Speisesalz in größeren Mengen zum Beispiel. So sehr uns die Strategien dieser Frauen auch schockieren mögen, mit der sie ihre Belohnungen zu erreichen versuchen – die Attraktivität dieser Belohnungen ist alles andere als unverständlich, denn: «Eltern mit kranken Kindern können auf die Zuwendung und Aufmerksamkeit der Mitmenschen zählen», heißt es dazu in dem Artikel. Wer würde sich das nicht ebenfalls wünschen in seinem Leben?
    Daß die Betroffenen unter einer «Persönlichkeitsstörung leiden und in vielen Fällen selbst Opfer von psychischer oder physischer Gewalt in ihrer Kindheit waren», sollte uns nicht dazu veranlassen, darin ein Thema zu sehen, das bloß für «Kranke» relevant ist. Vielmehr kennt jeder aus eigener Erfahrung Beispiele, die auf das Phänomen des verdeckten Gewinns hindeuten. Paarbeziehungen scheinen mir dafür besonders anschauliche Exempel zu liefern. Die Psychologie berichtet immer wieder von Paaren, die sich auf eigentümliche Weise treu bleiben, nämlich in Form von Haßbindungen. Deren Eigenart besteht darin, daß der eine den anderen
nicht
verläßt – weil er ihn
haßt
. Eine auf den ersten Blick paradox anmutende Situation. Auf den zweiten nicht mehr. So zieht zum Beispiel eine Frau, die von ihrem Mann mißhandelt wird, einen schwer zu erkennenden, letztlich aber plausiblen Gewinn daraus, wenn sie bei ihm bleibt: Sie könne sich solcherart «auf Raten» rächen, meint der Psychologe Dietmar Stiemerling [122] , oder aber den «Täter als Objekt von Schuldzuweisungen» verwenden; während der Täter ganz offensichtlich aus seiner Gewalttätigkeit den für ihn entscheidenden «Gewinn» zieht. Aus welchen konkreten Gründen auch immer heillos zerstrittene Paare zusammenbleiben mögen – daß sie es (freiwillig) tun, kann seine tiefere Erklärung nur in dieser Form der Belohnung finden. Das trifft nur dann nicht zu, wenn einer der beiden Partner gewaltsam vom anderen festgehalten wird – welcher konkreten Mittel er sich dazu auch bedienen mag.
    So erscheint das Verhalten von Menschen, die unter dem Münchhausen-Stellvertretersyndrom leiden, mit einemmal plausibler: Indem sie ihre Kinder krank machen, können sie das «Ideal der ‹perfekten Mutter› nachleben». Außerdem bietet ihnen die Situation eine Chance, Kompetenzen zu entwickeln und zu beweisen: «Anders als überängstliche Mütter müssen sie vom Arzt nicht beruhigt werden, sondern im Gegenteil: In der intensiven Interaktion mit der medizinischen Autorität blühen die Mütter auf und weisen sich als kompetente Fachfrauen aus, die bestens Bescheid wissen über den Zustand des Kindes und sehr schnell medizinische Begriffe übernehmen.» [123] Eine etwas weniger erschreckende Illustration dieses Phänomens bietet eine klassische Redewendung, in der ein Kind mit klammen Fingern durch eisiges Winterwetter stapft und sich dabei denkt: «Es geschieht meinem Vater schon recht, wenn ich mir die Hände verfriere, warum kauft er mir keine Handschuhe!» [124] Belohnungen also, wohin wir blicken; sie mögen verdeckt sein, aber sie motivieren die Menschen gleichwohl zu den befremdlichsten Strategien, sie sich zu holen: Sie mißhandeln ihre Kinder, um als sorgende Eltern zu gelten, oder «verfrieren» sich die Finger, um ihre Eltern zu bestrafen – und zahlen dafür einen hohen, aber in ihren Augen offensichtlich keinen
zu
hohen Preis.
    Spätestens an dieser Stelle müssen wir uns also von der Vorstellung verabschieden, stets vorhersagen zu können, womit wir andere Menschen verführen und steuern können. So können sie unsere Versprechen zum Beispiel weniger als Belohnung denn als schlechten Witz verstehen. Oder aber sie erkennen in Dingen eine Verheißung, denen wir in unseren Plänen eine andere Rolle zugedacht haben. Oder aber wir bringen es zuwege, in unseren Versprechen Belohnungen zu verstecken wie Ostereier – ohne davon irgend etwas mitzubekommen, weil wir es unbewußt tun. Eine gute Gelegenheit also, um zum letzten Abschnitt dieses Kapitels zu kommen, den

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