Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ankowitsch
Vom Netzwerk:
alle Betroffenen dabei mitmachen, weil sie sich sonst «sofort dem Verdacht aussetzen würden, die Leistungsnormen nicht zu erfüllen». Ganz ähnlich gestalte sich der universitäre Alltag, wenn es darum gehe, sich um Förderungen für einzelne Projekte zu bewerben. Diese Ansuchen würden die Wissenschaftler mitunter mehr beschäftigen als die eigentliche Forschungsarbeit. Helbings Resümee: «Meiner Schätzung nach werden ungefähr 40  Prozent des verteilten Geldes verbraucht, ohne dass es im Sinne von wissenschaftlicher Forschung wirksam wird. Aus meiner Sicht ist das Steuerverschwendung.» Aber wie es sich für ein lebendiges System gehört, ist an dieser Stelle nicht Schluß mit der Geschichte, sondern sie geht weiter und weiter und weiter. Und zwar auf eine höchst unerwartete Weise. So hat eine Arbeitsgruppe der Berliner Akademie, wie Jürgen Kaube berichtet [114] , die Effekte der Exzellenzinitiative genauer untersucht und eine erste Bilanz vorgelegt: Darin würden «Forscher zitiert, die das abgelehnte Vorhaben mit anderen Mitteln durchführen, aber abgespeckt um ‹diesen ganzen, jetzt mal salopp gesprochen, strukturellen Apparat›, der nur in den Cluster-Antrag hineingeschrieben worden sei», weil die Deutsche Forschungsgemeinschaft ( DFG ) «das so haben wollte. Effizienzgewinne durch Ablehnung!» Wenn auch erst im zweiten Anlauf. So viel zum Thema der Vorhersehbarkeit bestimmter Prozesse und deren Steuerbarkeit.

Je komplexer Systeme, desto größer das Risiko, mit Versprechungen paradoxe Ergebnisse zu erzielen. Hinzu kommt, daß manche als Belohnung empfinden, was andere kaltläßt.
    Wer einmal beginnt, die Welt der Förderungen und Versprechungen aus diesem Blickwinkel zu betrachten, wird feststellen, wie unerwartet wir mit dem Design unserer Belohnungssysteme die Produktivität der Menschen zu beeinflussen beginnen. So erzählte ein Bekannter, der in einem großen Softwarehaus angestellt gewesen war, die folgende Geschichte: Um die Leistungen seiner Abteilung besser beurteilen und belohnen zu können, wurde nach Parametern gesucht, die das ermöglichen. Doch im Unterschied zu Abteilungen, die anhand objektiver Umsatzzahlen leicht beurteilbar gewesen seien, habe man bei seiner Abteilung lange gerätselt: Wie könnte man nur die Leistung von Menschen beurteilen, die Grundsatzarbeit leisteten? Deren Erfolg bzw. Mißerfolg sich mit den angestammten Instrumenten nicht messen ließ? Weil sie aus Ideen, Strategien und Anregungen bestanden? Die Ratlosigkeit war groß, bis jemand den Einfall hatte, ihre Leistung (und damit die Belohnung) an der Höhe des Outputs zu bemessen, also am Umfang ihrer wissenschaftlichen Arbeiten, die sie hervorbrachten. Warum nicht, hätten sich da alle gedacht, gute Idee! Mit dem Ergebnis, daß von da an markant mehr wissenschaftliche Arbeiten produziert wurden. Diese Steigerung sei freilich nicht zustande gekommen, weil die Leute in der Abteilung mehr gearbeitet hätten oder kreativer geworden wären. Vielmehr hätten sie damit aufgehört, erzählte der Bekannte, einzelne, lange, zusammenhängende Texte zu publizieren – und seien dazu übergegangen, sie in kleinere Einheiten zu stückeln.
    Das amüsante an der Geschichte: Die Leute aus dem Software-Unternehmen verhielten sich damit exakt wie jene Bauern des 19 . Jahrhunderts, von denen wir im Schweizer
Magazin
lesen konnten [115] : In China seien damals «Knochen von Dinosauriern entdeckt» worden. «Die mit diesen Knochen beschäftigten Paläontologen versuchten, die Bauern zur Mitsuche zu animieren, weshalb sie auf jeden abgelieferten Knochenteil einen Finderlohn versprachen. Sobald die Bauern einen größeren Knochen fanden, zerschlugen sie ihn in kleinere Teile, um möglichst hohe Prämien zu kassieren.» Was beweist, daß viele unserer Eigenarten von erstaunlicher Zeitlosigkeit sind.
    Wir können davon ausgehen, daß mit zunehmender Komplexität der von uns zusammengeschusterten Anreizsysteme die Wahrscheinlichkeit paradoxer Ergebnisse steigt. Zumal das Belohnungszentrum in unserem Gehirn weit davon entfernt ist, ein offen vor uns liegendes Betriebssystem zu sein, in dem sich nach Belieben schalten und walten ließe. Ganz im Gegenteil. Viele seiner Prozesse sind und bleiben uns verborgen, denn sie laufen unbewußt ab. Das heißt: Immer wieder reagieren wir auf Versprechen und Belohnungen, ohne uns dessen bewußt zu sein; oder aber wir schreiben unser Verhalten einer bewußten Entscheidung zu, obwohl sie aus den tiefsten

Weitere Kostenlose Bücher