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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ankowitsch
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größte Katastrophe ankündigte, die die Stadt New York je erlebt hatte, taten nicht alle Menschen, was sie naheliegenderweise hätten tun sollen: alles stehen und liegen lassen, um aus den beiden Hochhäusern des World Trade Center zu fliehen. Vielmehr gab es einige, die sich am 11 . September 2001 zwischen 8 : 46  Uhr und 9 : 03  Uhr, dem Einschlag der beiden entführten Passagiermaschinen, verhielten wie gewohnt. Was genau sie machten, können wir in einer Studie nachlesen [141] , für die 271 Überlebende der Anschläge befragt wurden. Das Resultat: «Mehr als die Hälfte gab an, sie hätten zuerst begonnene Tätigkeiten zu Ende geführt oder noch rasch andere Dinge erledigt, bevor sie zu den Notausgängen gingen. Es habe sich überdies herausgestellt, dass jene, die zuerst wissen wollten, was geschehen sei, eineinhalb- bis zweieinhalbmal so lange brauchten, um mit ihrer Flucht aus dem Gebäude zu beginnen.» Ganz zu schweigen von all jenen, die sich dazu entschlossen hätten, «zuerst ihre Schreibtische aufzuräumen». Auf diese Weise ließen die Befragten zwischen einer und acht Minuten verstreichen, nachdem sie davon verständigt worden waren, daß die Hochhäuser brannten. Naheliegender Titel der Zeitungsmeldung: «Die Türme hätten schneller geräumt werden können.»
    Wir würden die Ursache dieses Verhaltens verkennen, wenn wir es der mangelnden Auffassungsgabe oder gar Intelligenz dieser Menschen zuschreiben würden; es hat damit nichts zu tun. Die Ursache liegt woanders: Die Menschen in den Twin Towers folgten mehrheitlich ihren Gewohnheiten. Also jenen tief in uns verwurzelten Routinen, auf die wir immer wieder zurückgreifen – in meist traumwandlerischer Sicherheit. Kein Wunder, laufen sie doch jedesmal nach exakt demselben Schema ab. In unserem Leben gibt es sehr viele automatisierte Handlungsabfolgen, und sie dienen ganz unterschiedlichen Zwecken. Sie steuern unser Verhalten in Notsituationen ebenso wie unsere Radfahrkünste, sie bestimmen die Wahl unserer Lebensgefährten oder unser Benehmen im Büro, sie entscheiden binnen weniger Sekunden, ob wir einem bestimmten Menschen trauen können oder eine bestimmte Aktie halten oder verkaufen. Diese Routinen erwerben wir auf ganz unterschiedliche Weise. Manche haben wir von der menschlichen Evolution oder von unserer Familie geerbt; für andere trainieren wir mühselig wie für unsere Rückhand im Tennis oder für unsere Kunststücke auf dem Skateboard; wieder andere sind das Ergebnis gedankenverlorenen, jahrelangen Vorunshinwerkelns.
    Es gibt verschiedene Begriffe für diese Routinen, sie reichen von Instinkt über Ritual bis hin zu Heuristiken; sie gehören durchaus in verschiedene Kontexte, doch sie alle vereint ihre strukturelle Ähnlichkeit: Sie haben eine klare, festgelegte Dramaturgie, sie sind uns in Fleisch und Blut übergegangen, sie laufen fehlerfrei ab, sie beanspruchen uns nicht groß – und sie sind in den Tiefen unseres Gehirns gespeichert, unserem willentlichen Zugriff also weitgehend entzogen. Das hat einen guten Grund: Steuern wir Handlungen durch unser Bewußtsein, indem wir darüber nachdenken und sie konkret planen, dann agieren wir zwar überlegt und mitunter innovativ, aber auch langsam und bisweilen fehlerhaft. Wir müssen dafür nämlich einen ziemlichen Koordinationsaufwand betreiben und viele Kapazitäten unseres Gehirns beanspruchen. Sind wir mit neuen Situationen oder kniffligen Problemen konfrontiert, dann ist die überlegte Vorgehensweise überaus hilfreich. Weniger gut eignet sie sich für Notfälle, für Standardsituationen oder für Tennismatches. Würden wir dem Tiger, der bereits mehrfach aufgetaucht ist, begegnen und versuchen, ihm durch angestrengtes Nachdenken zu entkommen, dann wären wir diesmal
wirklich
fällig. Unsere bewußten Strategien sind einfach zu schwerfällig und zu langsam, um diese Situationen zu managen. Wir hätten unseren ersten Gedanken noch nicht zu Ende formuliert, da würde der Tiger bereits an unserem Unterschenkel nagen. In solchen Situationen bedient sich unser Gehirn daher auch seiner Routinen. Die hat es in seine unbewußten Areale ausgelagert, die über besondere Qualitäten verfügen. All jene Prozesse, die dort angestoßen und gesteuert werden, sind nämlich rasend schnell verfügbar und laufen in einer standardisierten Form ab, jedesmal gleich und jedesmal gleich schnell. Eine überaus sinnvolle Strategie, um uns aus brenzligen Situationen zu manövrieren, wiederkehrende

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