Mach's falsch, und du machst es richtig
den folgenden Tagen und Wochen E-Mails, die alle dieselbe Botschaft enthielten: Er sei der neue Weltenlehrer und man erwarte Großes von ihm. Doch damit nicht genug: Im Internet tauchten laut
New York Times
vom 4 . Februar 2010 «dutzende von Homepages, Diskussionsgruppen und Videos auf, die allesamt seine Heiligkeit» [128] verkündeten. Absender dieser Ergebenheitsadressen waren die Mitglieder einer gewissen Share International Foundation, einer religiösen Gruppe, die als harmlos gilt. Gegründet hatte sie ein gewisser Benjamin Creme, ein rund 90 Jahre alter schottischer Esoteriker. Die Share-Foundation bezieht sich auf die Lehren der Theosophie – einer religiösen Bewegung des ausgehenden 19 . Jahrhunderts, die alle Weltreligionen in sich vereinen will. So ist es auch weiter nicht verwunderlich, daß die Mitglieder der Gruppe an Wiedergeburt glauben, vor allem an jene des Erleuchteten, eines zweiten Buddhas. Dieser Maitreya genannte Meister werde eines Tages auf die Welt kommen, um den Menschen den Weg zu einem besseren Leben zu weisen. Die Jobbeschreibung für diese Position wiederholt Benjamin Creme seit 1974 immer wieder: Der neue Wissende sei 1972 geboren, dunkelhäutig, 1977 von Indien nach London gereist und stottere ein wenig. Raj Patel hatte mehrfaches Glück (oder Pech, je nach Sicht der Dinge): Nicht nur treffen
all diese Punkte
auf ihn zu, sondern es gab offensichtlich auch Share-Anhänger, denen das aufgefallen war.
Nun kam, was in unserer Mediengesellschaft immer kommt, wenn irgendwo ein paar Leute etwas Eigenartiges veranstalten: Die Zeitungen berichteten, die Fernsehsender sendeten, das Internet summte. Der Verursacher der ganzen Aufregung, der Comedian Stephen Colbert, ließ sich die Gelegenheit natürlich nicht entgehen. Am 15 . März 2010 zeigte er einen kurzen Ausschnitt aus einem Video des Sektenchefs Benjamin Creme. [129] Dessen unmißverständliche Nachricht: «Maitreya», also der neue Messias, «gab vor kurzem sein erstes Interview in Amerika. Der Meister aller Meister» sei in einer bekannten Fernsehsendung aufgetreten. Die letzten Zweifel, ob es sich wirklich um ihn handle, seien beseitigt, denn er habe in der TV -Sendung – gestottert! Colbert jauchzte vor Freude. Und holte, nachdem er das Video in seiner Sendung vorgespielt hatte, Raj Patel ans Telefon. Ob er denn wirklich der lang erwartete Messias sei, wollte er von ihm wissen. Patel konnte nicht mehr sagen als «No, I mean …» – schon unterbrach ihn Colbert und machte ihn auf ein weiteres Erkennungsmerkmal des Messias aufmerksam: «Ist Ihnen nicht bewußt, daß Benjamin Creme ebenfalls prophezeit hat, der wahre Messias werde seine Heiligkeit leugnen?» Also fragte der Comedian Patel noch einmal: «Sind Sie der Messias?»
Wer der Aufzeichnung der Show folgt, der wird hören, wie Raj Patel erst ein wenig stottert und anschließend mit dem Elan eines Menschen, der der Kraft des vernünftigen Arguments vertraut, zu einem Dementi ansetzt: «Well,
no …
» Doch weiter kam er nicht. Kaum hatte er «no» gesagt, warf Stephen Colbert die Arme in die Luft und jubelte: «Hey, he
is
the messiah!» Wie sehr sich Patel in den folgenden Minuten des Telefonats auch bemühen mochte – es gelang ihm nicht, aus diesem verdrehten System auszusteigen. Als Patel erklärte, er sei gegen jede Art der Gefolgschaft, die Menschen sollten lieber selbständig denken, stellte Colbert fest, daß das «sehr heilig» klinge; dann forderte er ihn auf, ihm zu sagen, wie man selbständig denken könne – Raj Patel verhedderte sich immer mehr in der paradoxen Situation. So war es nur logisch, daß Colbert ihn schließlich mit dem Satz verabschiedete: «Raj Patel, the Messiah!»
Ein knappes halbes Jahr später gelang es dem Autor endlich, die Sache aus der Welt zu schaffen: Er traf Benjamin Creme
persönlich
in San Francisco. Das Ergebnis des Gipfeltreffens faßte die
New York Times
folgenderweise zusammen: «Nach ihrem Treffen beschlossen die beiden Herren, die Ereignisse der vergangenen Monate als ‹einen Fall irrtümlicher Identität› zu bezeichnen.» [130] Was für manche Sektenmitglieder durchaus der letzte, schlagende Beweis
für
die Heiligkeit Raj Patels gewesen sein könnte – so heftig, wie alle Beteiligten versuchten, dem Eindruck zu widersprechen.
Unser Gehirn hat die Angewohnheit, Routineaufgaben in den Bereich des Unbewußten zu verlagern. Damit können wir oft schnell und effektiv auf Situationen reagieren.
Als sich die
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