Mach's falsch, und du machst es richtig
denn nun?» höre ich Sie fragen. «Erst schildern Sie ausführlich, wie wir uns die Welt zurechtinterpretieren und wie sinnvoll das ist. Dann wenden Sie ein, uns würden vielmehr autonome, unbewusste Prozesse dirigieren, nur um anschließend mit einem Hinweis auf die Placebos anzukommen, der uns an den Ausgangspunkt Ihrer Argumentation zurückführt. Fehlt nur, daß Sie jetzt zur Abwechslung mal ein Beispiel aus dem Hut zaubern, das Ihrer Ausgangsthese widerspricht!» Ein berechtigter Einwand, zweifellos. Und doch müßte ich strenggenommen genau das machen – also darauf hinweisen, daß wir keinesfalls an jener Stelle Schluß machen können, in der es um die machtvolle Wirkung von Placebos geht. Das würde nahelegen, wir könnten einfache Regeln formulieren: «Werde gläubig – und du wirst gesund bleiben!» bzw. «Nimm dir nur fest genug etwas vor – und es wird wahr werden!» So plausibel die beiden Regeln in diesem Kontext auch sein mögen, so wenig eignen sie sich dazu, in Stein gemeißelt zu werden.
Das
sollten nur die Zehn Gebote – wobei sich auch bei ihnen die Frage stellt, ob sie nicht besser dazu geeignet sind, uns auf dumme Gedanken zu bringen, als uns von dem darin Beschriebenen abzuhalten – davon im Kapitel «Hilfreiche Neins» mehr.
Um zu verhindern, daß die zitierten Regeln unwidersprochen stehenbleiben, müßte ich den Text eigentlich fortschreiben und nunmehr darauf hinweisen, daß wir keinesfalls glauben sollten, mit der simplen Placebo-Mechanik immer durchzukommen. Doch bevor ich das tue, will ich die Sache abkürzen und sie von einem übergeordneten Blickwinkel zu beschreiben versuchen, der diesem ständigen Hin und Her ein Ende macht.
So haben wir gesehen, daß wir einfache Annahmen aufstellen und daraus simple Regeln ableiten. Der Zweck: Wir wollen unsere Dinge geregelt bekommen. Manchmal klappt das.
Manchmal klappt das aber nicht, weil sich unsere unbewußten Routinen und Gefühle einmischen bzw. die Eigendynamik unserer Umgebung bzw. unser Belohnungssystem. Sie verändern die Auswirkung unserer einfachen Regeln. Mit dem Ergebnis, daß immer wieder das Gegenteil des Geplanten geschieht.
Als wäre das nicht schon vertrackt genug, läßt sich die Geschichte unserer Weltaneignung auch andersherum erzählen: daß nicht
wir
uns
die Welt
aneignen, sondern
die Welt
sich
uns
aneignet. Das heißt: Unsere einfachen Regeln haben in Wirklichkeit überhaupt keinen Einfluß auf unsere Handlungen. Vielmehr werden sie von unseren unbewußten Routinen und Gefühlen gesteuert und/oder von den Einflüssen der Gesellschaft.
Unsere simplen Annahmen und Regeln hingegen sollen uns bloß glauben lassen, wir wüßten, was wir tun. Produziert werden sie von unserem Gehirn mit dem Zweck, uns zu beruhigen. Denn wer glaubt, der Chef des Universums zu sein, bleibt fröhlich, sozial und sorgt dafür, daß es mit der Menschheit weitergeht.
Ich überlasse es Ihrer Phantasie, sich weitere Varianten auszumalen, wie wir uns die Welt aneignen bzw. wie die Welt sich uns aneignet. Das ist sicher anstrengend und verwirrend für Sie – für mich jedenfalls ist es das bis heute geblieben.
So könnten Sie sich ausmalen, welche Auswirkungen es hat, wenn wir uns für die Chefs des Universums halten. Das Beispiel von Nelson Mandela, der ja die Moral der Mithäftlinge stärkte, indem er ihnen das Gedicht «Invictus» vortrug, zeigt, daß unser anmaßendes Weltbild, selbst über unser Schicksal zu entscheiden, plötzlich greifbare, vor allem aber positive Wirklichkeit werden kann. In einem anderen Fall aber direkt in den Größenwahn führt.
Eine beruhigende Nachricht habe ich noch für Sie: Ihre Vorstellungen mögen kompliziert sein – eines können sie
nie
sein: ganz falsch! Sie werden immer einigermaßen richtig damit liegen. Gleichgültig, welche Wenn-dann-Schleifen Sie auch knüpfen sollten.
Denn wir müssen uns den Prozeß unseres In-der-Welt-Lebens als ziemlich komplizierte Angelegenheit vorstellen, bei der jede denkbare Variante irgendwann einmal vorkommt. Nur eines sollten wir keinesfalls: Versuchen, uns für
eine
dieser Varianten zu entscheiden, um sie anschließend in den Rang einer
singulären Wahrheit
zu erheben. Also zu postulieren, daß wir Lebewesen seien, die ausschließlich durch unbewußte Prozesse durchs Leben manövriert werden. Dabei handelt es sich um eine unzulässige Vereinfachung eines hochkomplexen Vorgangs. Wir werden noch sehen, daß genau in dieser Verabsolutierung einer Regel ein
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