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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ankowitsch
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wesentlicher Grund dafür besteht, daß die Dinge oft genau andersherum kommen als geplant.

Weil unser Leben ambivalent organisiert ist, sollten wir uns damit anfreunden, die widersprüchlichsten Eigenschaften in uns zu vereinen. Zum Beispiel, ebenso mächtig wie machtlos zu sein.
    Nach dem bisherigen Verlauf des Kapitels wird es Sie, liebe Leser, nicht wundern, daß Sie auch darauf eine mehrdeutige Antwort bekommen. Und – da ist sie schon: Es kommt drauf an. Nämlich auf die konkrete Situation. Auf die Beziehung der Gruppenmitglieder, auf Details, die Großwetterlage, wie Sie geschlafen haben, ob Sie Ihr Lieblingskleid tragen, welche Entwicklung der Börsenkurs Ihrer Aktien nimmt, ob ein Ihnen Unbekannter für Sie irgendwo interveniert hat. Sollten Sie sich nun denken: «Das klingt aber ziemlich unentschieden», dann haben Sie sich die Frage nach unseren Gestaltungsmöglichkeiten eben selbst beantwortet. Wir haben nämlich
beides gleichzeitig
: große Macht und keinerlei Chance. Fritz B. Simon hat im letzten Kapitel seines Buchs diese Doppelantwort gegeben. Darin führt er eine zehn Punkte umfassende «Liste unbekömmlicher Annahmen über die Welt» auf und schreibt unter Punkt 10 : «Die Welt wird ganz anders, wenn irgendein Mensch sein Verhalten verändert, und dennoch kann niemand beschließen, die Welt gezielt zu verändern. Jeder hat die Verantwortung für die ganze Welt und kann doch nicht hierarchisch bestimmen, wie diese Welt aussehen wird.» Anschließend warnt er uns davor, uns für eine der beiden Sichtweisen zu entscheiden: «Wer nur die eine Seite dieses Dilemmas sieht, wird in Kleinheits- oder Größenwahn verfallen und sich, seinen Wert, seine Verantwortung und seine Schuld entweder über- oder unterschätzen.» [149] Das unauflösbare «menschliche Dilemma» bestehe eben darin, daß «beides stimmt», die «Idee der Allmacht und der Ohnmacht».
    Und nicht nur
diese
Idee stimmt. Es gibt eine Unzahl ähnlich gelagerter, die das ebenfalls tun. Eine davon hat der
FAZ
-Redakteur Jürgen Kaube formuliert, als er von einer Studie des Erziehungswissenschaftlers Thomas Wenzl berichtete. Darin ging es um die Frage, wie in Schulklassen kommuniziert wird. [150] Während es Kindern in der Familie prinzipiell möglich sei, sich jederzeit zu jedem beliebigen Thema zu äußern, werde das in der Schule ungleich strenger geregelt: Dort müßten sich Kinder nicht nur per Handzeichen melden, sondern dürften sich auch nur zu einem vorgegebenen Thema äußern. Anders sei ein sinnvoller Unterricht nicht zu realisieren; rein persönliche Zwischenrufe oder die Schilderung individueller Bedürfnisse hätten in diesen Momenten keinen Platz. «Das klingt unfreundlich», räumt Kaube ein, sei aber unerläßlich, denn wir würden «im sozialen Leben eben beides» schätzen: «Individualität und das Absehen von Individualität, die Fähigkeit, von sich zu abstrahieren. Erziehung muss darum beides vorsehen, beides unterstützen». Denn – und nun formuliert Kaube ein weiteres dieser Dilemmas, über die wir ständig stolpern in unserem Leben –: «Jeder ist einzigartig, und alle sind gleich.»
    Wie sehr solche Ambivalenzen unseren Alltag bestimmen, können wir in vielen Lebensbereichen beobachten. Zum Beispiel in der Kindererziehung. Verantwortungsvolle Eltern werden ihren Kindern immer wieder Botschaften vermitteln, die unvereinbar und dennoch jeweils gültig sind. So müssen wir ihnen einerseits sagen, daß sie nur bei Grün über die Straße gehen dürfen, keinesfalls aber bei Rot. Gleichzeitig aber sind wir gut damit beraten, ihnen einen zweiten Hinweis mit auf den Weg zu geben: Du darfst dich
nicht
darauf verlassen, daß du auch wirklich bei Grün losgehen kannst; es gibt nämlich Autofahrer, die selbst dann noch über die Kreuzung brettern, wenn sie längst Rot haben. Also vergiß, was ich eben gesagt habe, und versuche selber rauszufinden, was gerade auf der Straße geschieht (um dann gegebenenfalls selbst bei Rot rüberzurennen, wenn es gar nicht anders geht, aber laß dich nicht erwischen!). In ganz ähnlichen Ambivalenzen bewegen wir uns bei der leidigen Frage, wem Kinder trauen können und wem nicht. So müssen wir ihnen einerseits plausibel machen, daß sie nicht mit Fremden mitgehen sollen, vor allem nicht mit fremden Männern. Gleichzeitig aber wissen wir, daß Kindern vor allem durch ihre nächste Umgebung Gefahr droht, vom freundlichen Onkel zum Beispiel, den sie sehr gut kennen. Also müßte eher vor dem

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