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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ankowitsch
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unterschiedlich beurteilen. Unser Hang zur «Unterlassung» («Omission») hat genau darin seine Ursache: Weil wir Handeln für die gefährlichere Option halten, nehmen wir regelmäßig an, es sei besser – nichts zu tun. Obwohl es eindeutig vernünftiger wäre, unsere Kinder impfen zu lassen, blieben wir untätig. Unsere unbewußte Kosten-Nutzen-Rechnung: Erleiden die Kleinen aufgrund unserer Entscheidung einen Impfschaden, dann sind wir schuld daran – schlecht. Wenn sie hingegen, ungeimpft, wie sie sind, die Masern bekommen, dann sind wir fein raus, denn wir können den unhygienischen Kindergarten dafür verantwortlich machen (oder gleich das Schicksal, je nachdem). Besser also, wir tun – nichts!
    Sind die beiden bisher genannten Gründe noch nachvollziehbar, so werden sich die meisten mit dem folgenden deutlich schwerer tun, der unter «Inaction Inertia» bekanntgeworden ist. Eine Bezeichnung, die nur mit einer literarischen Formulierung zu übersetzen ist: «Sehenden Auges, aber nichts tuend». Es habe sich herausgestellt, schreibt Anderson dazu, daß wir auch
dann
gerne untätig bleiben, wenn wir zum zweiten Mal vor einer gewinnbringenden Chance stehen und die erste, vergleichbare, durch Untätigkeit haben vorbeirauschen lassen. Das heißt: Waren wir einmal untätig, bleiben wir es auch in einer vergleichbaren Situation. Doch damit nicht genug: Unsere Bereitschaft, ein zweites Mal nichts zu tun, nehme zu, wenn wir wüßten, daß der aktuelle Gewinn geringer sein werde als der, den wir beim ersten Mal verpasst haben. Klingt sehr unvernünftig und ziemlich unglaubwürdig. Aber diverse Experimente haben genau das ergeben. So arrangierte man 1995 in einem Versuch, daß drei Gruppen die Möglichkeit verpaßten, Skipässe zu kaufen, die einen Nennwert von 100 US -Dollar hatten: Die eine Gruppe versäumte es, die Pässe zum Preis von 40 US -Dollar zu kaufen, die zweite zum Preis von 80 US -Dollar. Eine dritte Gruppe blieb außen vor; die lud man erst zur zweiten Runde des Experiments ein. In der bot man nun den drei Gruppen die Möglichkeit, die Skipässe für 90 US -Dollar zu kaufen – also immerhin noch um zehn Prozent günstiger. Das Ergebnis: Es griffen vor allem die unbelastete und die 80 -Dollar-Gruppe beherzt zu; wenig Bereitschaft, die zweite Chance zu nutzen, zeigten hingegen die Leute aus der 40 -Dollar-Gruppe. Deren Überlegungen seien durch «kontrafaktisches Denken» bestimmt gewesen, schreibt die Psychologin Orit E. Tykocinski, die an der Studie beteiligt war [182] : «Hätte ich die Chance nicht verpasst, den Pass für 40 US -Dollar zu kaufen», so hätten die Mitglieder der entsprechenden Gruppe gedacht, «müsste ich jetzt nicht 50 US -Dollar mehr bezahlen.» Anstatt auf der Basis einer aktuellen Rechnung zu entscheiden, verstrickten sich die Menschen in die Erinnerung an eine unwiederbringliche Gelegenheit. Und taten – nichts. Schuld daran war das Gedächtnis, auf dessen wichtigen Einfluß ich an verschiedenen Stellen dieses Buchs immer wieder zurückkomme.
    Mit dem vierten Grund verlassen wir das Feld der ausschließlich negativen Formen des Nichthandelns und schlagen den Bogen zu den positiven, von denen anschließend die Rede sein soll. Mit «Choice Deferral», also «Entscheidungsaufschub», wird eine Situation beschrieben, in der wir entscheiden, nichts zu entscheiden. Also erst mal nicht zu handeln. Die Gründe dafür könnten vielfältig sein: um Zeit zu gewinnen, um nach weiteren Handlungsoptionen zu suchen, um deren übergroße Auswahl zu reduzieren, um über die Chancen und Gefahren einzelner Möglichkeiten nachzudenken, um keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Suchen wir nach einem stimmigen Bild für die Janusköpfigkeit des Nichthandelns – im «Choice Deferral» haben wir es gefunden.
    Es gibt also einige gute Gründe, über unseren Hang zum Nichtstun nachzudenken. Dabei habe ich den wichtigsten dieser guten Gründe noch gar nicht genannt. Das sei an dieser Stelle nachgeholt: Tun wir nämlich in Momenten der Ungewißheit nichts, so folgen wir damit keinem
bewußten
Entschluß. Wir denken nicht über das gesamte Setting nach, um dann die Entscheidung zu treffen, nicht zu handeln (außer vielleicht beim «Choice Deferral»). Vielmehr reagieren wir auf das Gefühl der Unsicherheit mit der Strategie des Nichtstuns aufgrund tief in uns verwurzelter Routinen. Und wie wir bereits wissen, laufen diese meist
unbewußt
ab. Wir sind also nicht aus freien Stücken untätig,

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