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Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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Fingern ruhte. Der irisierende Glanz jener Rose, die keine war, war erloschen. Nicht einmal mehr eine Spur von dem Glühen, das sie so fasziniert hatte, als sie in der Royal Bank of Scotland den Deckel von der Schatulle gehoben hatte.
    Zögernd streckte sie die Hand danach aus. Ihr entging nicht, wie der Geistliche nur mit Mühe dem Impuls widerstand, ihr das Achat zu verweigern. Aber letztlich erkannte er, dass er keine andere Wahl hatte. Er reichte ihr das mächtige Artefakt, und sie nahm es zwischen die Finger.
    In London hatte es sich angefühlt wie nicht von dieser Welt. Jetzt war es nichts weiter als ein kaltes, nutzloses Stück Mineral.
    Da war keine Wärme mehr, die es erfüllte. Kein Schaudern, das es erzeugte. Kein Beben, das es tief aus dem Erdinneren hervorrief. Keine fremden, machtvollen Wesenheiten, die es begleiteten, die Beatrice noch in London unaufhaltsam umkreist und sanft berührt hatten.
    Nichts von alledem. Nur ihrer beider Atem. Das darf nicht wahr sein!
    Beatrice schoss alle Behutsamkeit in den Wind. Sie umfasste das Achat noch entschlossener. Ihre Finger verkrampften sich wie die Krallen eines Raubtieres um seine Beute. Warum war das geheimnisvolle Leben, das das Achat beseelt hatte, verschwunden? Die Knöchel traten weiß unter der Haut hervor. Das Einzige, was sie spürte, war das Blut, das vor lauter Anstrengung hinter ihren Schläfen pulsierte.
    Verärgert stieß sie die Luft aus ihren Lungen. Das leblose Gebilde entglitt den Fingern und fiel ihr in den Schoß. Dort blieb es liegen, ohne dass sich etwas regte. Auch der Priester rührte sich nicht. Er sah sie nur erwartungsvoll an. »Was ist los?«
    Sie zuckte die Achseln. »Nichts.«
    »Verarschen Sie mich nicht!« Seine Hand schoss hervor und schlug auf ihre Wange. Ein Knall, noch lauter als das Quietschen des Bettgestells. Ihr Kopf schleuderte herum, der Körper folgte. Etwas unter ihr rasselte, eine Bettfeder oder eine Schraube, die durch die abrupte Bewegung aus der rostigen Fassung gerissen wurde. Die Matratze hing plötzlich durch. Es knackste und jaulte unter ihr. Dann brach die ganze Konstruktion wie ein Kartenhaus zusammen.
    Beatrice schrie auf, ihr Körper wurde ein weiteres Mal herumgewirbelt. Dabei machte das Achat einen Satz. Es beschrieb einen Bogen durch die Luft, elegant wie in Zeitlupe. Doch weder der Priester noch sie selbst waren in der Lage, sich dem verhängnisvollen Lauf der Slow Motion entgegenzustemmen. Beatrice lag noch mit verknoteten Gliedern auf der fleckigen Matratze, der Priester mit seiner Soutane im Staub daneben, als die Rose bereits mit einem hässlichen Knirschen auf dem Betonboden landete.
    »Was haben Sie getan?«, schrie der Geistliche entsetzt, während er aufsprang und sich dabei den Staub von der Kleidung klopfte.
    »Ich?«, brüllte sie.
    Ungläubig starrte er erst sie an, dann die Rose, die auf dem schmucklosen Boden lag. Unversehrt.
    »Verarschen Sie mich nicht«, hustete der Mann.
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Sorgen Sie dafür, dass das Achat seine Kräfte entfaltet!«
    Sie schluckte. Sie spürte Tränen auf ihren Wangen. Sosehr sie sich dagegen sträubte, Verzweiflung und Angst wucherten wie giftige Pflanzen. »Es funktioniert nicht.«
    Sie duckte sich, als der Priester die Hand zu einem weiteren Schlag hob. Dann besann er sich und wandte sich ab. Mit energischen Schritten durchmaß er den Raum und rieb sich die Wangen. Dann zog er schniefend die Nase hoch, schüttelte den Kopf, grub die Finger in die Taschen seiner Soutane und brachte ein Taschentuch zum Vorschein, in das er schnäuzte. Sie sah ihm an, was er dachte: Das ist unmöglich!
    Das waren auch ihre Gedanken. Aber da war noch mehr, was sie beschäftigte, schon seit dem Moment an, als ihr das fehlende Glimmen des Achats aufgefallen war. Wenn seine geheimnisvolle Kraft versiegt war, konnte das nur bedeuten, dass der Plan außer Kontrolle geriet. War ihr Bruder etwa in Gefahr?
    Auf einmal hatte sie es ziemlich eilig, das zu tun, was ihre Aufgabe war. Sie musste Philip erreichen. So schnell es nur ging.
     
     
    Berlin
     
    »He, Sie da!«
    Philip war mit sich, der quälenden Unfähigkeit, sich zu bewegen, und dem Gewimmel vor den Germanwings- Schaltern beschäftigt. Überall in der riesigen Abfertigungshalle standen Reisende, ein Mahlstrom aus Menschen, in dem es entnervt schimpfte, gelangweilt lachte, aufgeregt brüllte. Einer einzelnen Stimme schenkte er keine Aufmerksamkeit.
    »Würden Sie bitte hervortreten!«
    Es war Kahlscheuer,

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